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Archiv-Artikel

Sehnsucht nach Rose

Schockschwerenot: Vom Drama des Fahrrad-Diebstahls. Wenn der stille Begleiter auf einmal weg ist, kann das für den Besitzer traumatische Folgen haben. Ein Erfahrungsbericht

Nanu, da steht doch – keine fünf Meter vom Tatort entfernt – Roses Reifen am Gartenzaun

taz ■ Es gibt Dramen, über die spricht keiner, weint keiner, redet nicht mal einer. Kommst Du aus dem Kurlaub zurück, willst trotz allem auf Schicht fahren – und pardautz, Schockschwerenot, alle Sirenen springen an: Das Rad ist weg.

Wie eine edle Rose hatte es gepflegt und abgeschlossen (oder etwa doch nicht ?!) am Weg mittenmang im Viertel geparkt, einsam und geborgen den Dornröschenschlaf geschlummert. Und dann das: Aus, Schluss, Ende – futschikato, das Röschen. Heulen war gestern. Heute ist Laufen angesagt. Übrigens: Der gleiche Schock ereilt in Bremen pro Jahr 9.000 Radel-Besitzer. Die Aufklärungsquote liegt gerade bei fünf Prozent.

Es war so schraddelblau und abgewetzt, so speichenverrostet und mit kaum noch Bremsbelägen, so ohne Licht und Pneuprofil – und doch so lieb. Es gibt nicht viele verlässliche Freunde, nur wenige, die nie – na, fast nie – mucken, egal wie mies du drauf bist, egal, ob’s stürmt oder schneit.

Vor drei Jahren auf dem Flohmarkt für einen Hunni erstanden, dann still-schnurrender Begleiter, der beim Versägen von Opa-Radlern half. Leicht wie ein fliegender Teppich schwebte Rose an roten Ampeln vorbei. Mit drei Gängen und Nabenschaltung im Triumphzug wetzte sie über den Osterdeich, in das Hollerland und die Sögestraße – wie Schumi mit Pedalen.

Die Trauerphase: Vielleicht war ja alles nur ein Versehen der Diebe. Sorry, tut uns leid, sagen so Panzerknacker-Typen, die kostbare deutsche Räder nach Weißrussland und noch viel weiter verscherbeln. Und stellen das Rad Rose eines Abends wieder ab, an seinen guten alten Platz. Sorry, sagt die Radler-Mafia, war nur ein Albtraum. Sorry, ist alles nicht passiert.

Oder: Vielleicht haben die Panzerknacker Wirbelwind nach einer Spritztour einfach sonstwo an der Ecke abgestellt?

Also: Durch die Stadt gespinxst. Leider gibt’s jedoch so viele blaue Räder wie versenkte Euros im Space Park. Da wallte das Herz ganz oft bei Blau – und vergebens. Auf jeden Fall: großes Vermissen, große Sehnsucht – und große Vergebung. Vergebung für die Plattfüße, wenn die Kette absprang und wenn die Gänge klackten.

Tagelang alles Zweirädrige auf Ähneln mit Rose abgecheckt. Bis 007 „Bike“ Bond einen bitterbösen Verdacht schöpfte: Nanu, da steht doch – keine fünf Meter vom Tatort entfernt – da ist doch Roses Reifen am Gartenzaun!!!! Erkannt am gelben Ventil. An der zum Garten gehörigen Tür geklingelt, die Lage erklärt, misstrauisch nachgehakt – und verstanden, warum das mit dem Agenten-Business so schwer sein muss: „Habe ich mich auch schon gefragt, was der Reifen da soll“, blockt der Vielleicht-Entwender ab. Da machste nix, gehste nur blamiert von dannen. Kannst ja schlecht durchsuchungsbefehlmäßig das fremde Haus nach Rose filzen.

Sich an den Gedanken gewöhnen, das Trauma verarbeiten. Seit zwei Wochen zu Fuß. Viele Beinah-Herzattacken wegen blauer Fahrräder durchgestanden. Zu viele. Es reicht. Jetzt geht’s ab zum Flohmarkt.

Kai Schöneberg