: „Die Globalisierung ist zu Ende“
Interview HANNES KOCH
taz: Herr Bello, Sie sind einer der radikalsten Globalisierungskritiker. Von Ihnen stammt das Konzept der „Deglobalisierung“. Nun bietet die Welthandelsorganisation WTO Ihnen und anderen Kritikern an, in einem Beratungsgremium mitzuwirken. Schlagen Sie ein?
Walden Bello: Auf keinen Fall. Ich werde nicht daran teilnehmen. Das ist ein Versuch, die Reihen der Globalisierungskritiker zu spalten. Die WTO steckt in einer Legitimationskrise – und die will sie beheben, indem sie die Kritiker einbindet. Gerade vor der Welthandelskonferenz von Cancun im kommenden September wäre es ein Fehler, sich auf Kompromisse einzulassen. Wir hoffen ja darauf, dass Cancun scheitert – wie Seattle vor drei Jahren.
Könnten Sie nicht mehr Einfluss gewinnen, wenn Sie innerhalb der WTO Druck ausüben?
Die Organisation ist nicht reformfähig. Hätte es in den acht Jahren seit Start der WTO irgendein Beispiel dafür gegeben, dass sie jemals auch nur eine Forderung der Kritiker und der Entwicklungsländer erfüllt hätte, würde ich sagen: O.k. Lasst es uns versuchen. Aber es gab nie Konzessionen.
Bei der Handelskonferenz von Doha 2001 haben die USA und die EU den Entwicklungsländern zugestanden, dass diese Arzneimittelpatente der Pharmakonzerne brechen dürfen. Ist das nichts?
Stimmt, das war eine Konzession – auf dem Papier. Mittlerweile will die US-Regierung davon aber nichts mehr wissen. Nach dem Irakkrieg meint man in Washington wohl, nicht mehr so auf die Unterstützung der Welt angewiesen zu sein wie nach dem 11. September. Die USA wollen das Recht, Patente zu brechen, nun auf Aids, Malaria und Tuberkolose beschränken. Alle anderen Medikamente sollen tabu sein. In der Doha-Erklärung gab es eine solche Einschränkung noch nicht.
Die Globalisierungskritiker sind mit Meldungen über Armut und Elend immer schnell zur Hand. Ist die Welt durch die Globalisierung nicht auch etwas besser geworden?
Sicher gibt es positive Effekte – die Entwicklung des Internets etwa oder den starken kulturellen Austausch, den vor zwei Jahrzehnten noch niemand für möglich gehalten hätte. Aber insgesamt ist das Projekt der klassischen Globalisierung der 80er- und 90er-Jahre gescheitert. Es konnte sein Versprechen, der Welt Wohlstand zu bringen, nicht einlösen.
„Klassische Globalisierung“? Das klingt wie eine längst vergangene Epoche, auf die Sie jetzt zurückblicken.
Ich betrachte die Globalisierung der 80er und 90er tatsächlich als ein historisches Stück, das an seinem Ende angekommen ist. In den beiden Dekaden ging es darum, die regionalen Märkte zu einem Weltmarkt zusammenzufügen. Daran hatte die globale kapitalistische Klasse ein gemeinsames Interesse. Nun aber treibt dieses gemeinsame Projekt der Marktliberalisierung die Entwicklung nicht mehr voran. Jetzt bekommen wir eine neue Form der Globalisierung, die stärker von den einseitigen politischen Interessen der USA und den Interessen der US-Unternehmen bestimmt ist.
Also ist die Globalisierung nicht vorbei, sondern es haben sich nur die Prioritäten geändert?
Die Interessen der USA haben jetzt Übergewicht. Das ist nicht mehr Globalisierung, wie wir sie kennen, sondern Unilateralismus. Daran ist die ganze Politik der Bush-Administration ausgerichtet. Bush hat sich aus der klassischen Globalisierung zurückgezogen.
Können Sie ein Beispiel für das Übergewicht der US-Wirtschaftsinteressen geben?
Es gibt viele Beispiele. Die USA haben augenblicklich wenig Interesse an der WTO. Die Bush-Regierung kümmert sich eher um regionale und bilaterale Abkommen mit einzelnen Ländern, weil sie sich da besser durchsetzen können. Oder denken Sie an den Protektionismus der US-Wirtschaftspolitik! Nach dem 11. September haben die Vereinigen Staaten Milliardensubventionen zugunsten ihrer heimischen Landwirtschaft beschlossen. Und beim Internationalen Währungsfonds IWF blockiert Washington die vorgeschlagene Lösung zum Schuldenerlass für überschuldete Länder.
Herr Bello, selbst wenn die Globalisierung zu Ende sein sollte, wie Sie sagen: Muss man nicht trotzdem annehmen, dass die Integration der Weltmärkte und die Liberalisierung weitergeht wie bisher?
In Zukunft wird ein doppelter Standard herrschen. Die USA versuchen, Folgendes durchzusetzen: Liberalisierung auf der Welt und Protektionismus zu Hause. Das Globalisierungsprojekt betrachtet die Welt aber als eine Einheit. Die USA nehmen sich aus dieser Einheit heraus und beanspruchen eine Sonderrolle.
Könnte man sagen, dass die 80er- und 90er-Jahre die Ära der liberalen Globalisierung waren und nun ein Zeitalter der imperialen oder auch hegemonialen Globalisierung anbricht?
Eigentlich finde ich den Begriff Globalisierung gar nicht mehr sinnvoll. Wir haben es mit dem Imperialismus der USA zu tun. Früher sagte man, der nationale Staat und seine Grenzen würden mehr und mehr verschwinden. Seit dem 11. September erleben wir das Gegenteil.
Was wird nun aus Ihnen, Herr Bello? Wofür braucht man noch Globalisierungskritiker, wenn es keine Globalisierung mehr gibt?
Wir brauchen jetzt eine neue Theorie und Kritik des Imperialismus. Darum sollte sich unsere Bewegung ganz schnell kümmern.
Muss sich die globalisierungskritische Bewegung neu erfinden?
Sie muss ihren Fokus ändern, wenn sie relevant bleiben will. Viele Forderungen und Thesen der Bewegung sind immer noch richtig. Die Globalisierung hat eben keinen weltweiten Wohlstand geschaffen, sondern die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft. Genau das haben wir immer thematisiert und damit zur Legitimationskrise des Globalisierungsprojekts beigetragen. Die Politik von Bush ist nun auch eine Antwort, aus dieser Krise herauszukommen. Deshalb müssen wir uns mit der unilateralen und militaristischen Politik der USA auseinandersetzen.
Die 80er- und 90er-Jahre haben nicht nur Liberalisierung und Privatisierung gebracht, sondern auch Abkommen zum Schutze der Umwelt – zum Beispiel die Verträge von Rio de Janeiro und Kioto. War das denn kein Fortschritt?
Doch, damals gab es große Hoffnungen – wenngleich Bush senior schon bei der Rio-Konferenz 1992 sagte, dass der US-Lebensstil nicht zur Disposition stehe. Und leider konnte sich US-Präsident Bill Clinton nicht gegen die US-Wirtschaft durchsetzen, das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz zu ratifizieren.
Was soll man denn heute im Zeitalter des Unilateralismus tun, um solche Fortschritte zu retten oder fortzuführen?
Die USA klinken sich einseitig aus. Indem sie sich weigern, ihren Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, verlagern sie Kosten für die Beseitigung von Umweltschäden in andere Länder, die ihre Emissionen senken. Die USA lassen andere für sich zahlen. Dafür sollte man sie bestrafen.
Das wird die imperiale Supermacht nicht mit sich machen lassen.
Die Staaten, die das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz unterzeichnet haben, könnten eine Umweltsteuer auf US-Importe erheben.
Welche Reaktion der USA erwarten Sie?
Sie werden Druck ausüben und drohen – wie wir es von ihr kennen. Aber die anderen Staaten dürfen sich nicht einschüchtern lassen. Schließlich sind sie in der Mehrheit.
Plädieren Sie auch dafür, die USA aus internationalen Abkommen auszuklammern, wenn eine Einigung mit ihnen nicht möglich ist?
Allerdings. Vor allem aber sollten sich die anderen Staaten aber auf Umwelt- und Sozialabkommen konzentrieren, um die schädlichen Auswirkungen der Globalisierung zu verringern. Die Verhandlungen der Welthandelsorganisation über die weitere Liberalisierung sollte man links liegen lassen.