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Archiv-Artikel

Was uns der Meister wert ist

Er fände einen kleinen Dämpfer für die deutschen Meister nicht schlecht

Neulich hat er Post von der Bäckerinnung bekommen. Etwa zehn rückadressierte Umschläge lagen bei: ans Bundeswirtschaftsministerium, an die Ministerin für Verbraucherschutz, an verschiedene Lobbyverbände. Er sollte nur noch unterschreiben. Unterschreiben, dass auch er gegen die Abschaffung der Meisterprüfung für Handwerker ist, insbesondere für Bäcker. Unterschreiben, dass auch er auf das heftigste gegen entsprechende Pläne der Bundesregierung protestiert. Ausgerechnet er! Didier Canet formt seine großen, grünen Augen zu Lachschlitzen.

Seit acht Jahren ist der 42-jährige Franzose Chef der Bäckerei „Aux délices normands“ in Berlin, ohne dass er einen deutschen Meisterbrief besäße. 70 Mitarbeiter, davon 17 fest angestellte, beschäftigt der Unternehmer in seinen vier Filialen, sogar die Lizenz zum Ausbilden hat er, ohne dass er jemals die entsprechende Prüfung vor der Berliner Handwerkskammer abgelegt hätte, die für alle deutschen Kollegen in seiner Position Pflicht ist. Und nun sollte er sich für den Erhalt einer Regelung stark machen, die für ihn als EU-Ausländer ohnehin nie galt und die er überdies für überflüssig hält? „Ich habe natürlich alles sofort weggeschmissen.“

Der Bäcker Didier Canet kam kurz nach dem Mauerfall nach Berlin, wegen einer Frau, wie er sagt. Er arbeitete zunächst für eine französische Bäckerei im KaDeWe und beschloss dann, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: eine eigene Bäckerei. In Frankreich hätte er sich umgehend selbstständig machen können, schließlich hatte er ja sämtliche Fachprüfungen bestanden. In Berlin dauerte es bald ein Dreivierteljahr, sagt er, bevor die Handwerkskammer seinen Standardantrag bewilligte, wonach EU-Ausländer bei entsprechender Qualifikation sich auch ohne Meisterprüfung selbstständig machen dürfen.

Meisterprüfung. Didier Canet dehnt das Wort, so als sei es irgendwie pfui. Was die Deutschen immer auf sich halten. Er hat sie sich spaßeshalber angesehen, ihre Meisterprüfung. Die Zutaten durften die künftigen Bäckermeister von zu Hause mitbringen, viele kannten bereits das Rezept, auf das man sie prüfen würde. Anders in Frankreich! Da wurde vorher nichts verraten, da konnte keiner mogeln! Es ärgert ihn, dass viele Deutsche trotzdem glauben, ihre Ausbildung sei der anderer Länder überlegen. Schon deswegen fände Didier Canet es nur recht und billig, wenn die Meisterprüfung abgeschafft würde, als kleiner Dämpfer sozusagen.

In der Praxis, glaubt der Franzose, werde sich nicht viel ändern: „Wer sich unbedingt selbstständig machen will in Deutschland und an den Behörden scheitert, stellt sich schon heute einen Meister ein. Der existiert dann zwar oft nur auf dem Papier, aber die Behörden sind zufrieden.“ Das wahre Hindernis für die Gründung von Betrieben im Land sieht Canet woanders: Viele deutsche Handwerker seien überhaupt nicht bereit, 15 Stunden täglich in ihr Unternehmen zu investieren. „Aber ohne das geht es nicht“, sagt er.

Was, wenn er irrt? Wenn seine Bäckereifilialen nach der Reform plötzlich von konkurrierenden Betrieben umzingelt sind? „Oooofff“, macht Didier Canet. Sollen sie es doch probieren. „Qualität setzt sich durch“, sagt er und dann, scheinbar zufällig: „Wie wäre es mit einem Stückchen Himbeertorte?“

HEIKE HAARHOFF