Die Herzen fliegen zum Kap

Der geballten moralischen Macht von drei Friedensnobelpreisträgern kann auch die Exekutive des Weltverbandes Fifa nicht widerstehen und vergibt die Fußball-WM 2010 nach Südafrika

AUS ZÜRICH MARTIN HÄGELE

Das Bild hat Bestand für Jahre, und wer es einmal gesehen hat, wird es sein Leben lang gespeichert haben. Wie Nelson Mandela, der sich zur Feier des Tages in einen goldenen Kaftan gekleidet hatte, strahlend den goldenen Weltpokal schwenkt. Vielleicht ist es auch das Abschiedsfoto von der bedeutendsten politischen Figur des letzten Vierteljahrhunderts, denn für den 85-jährigen Südafrikaner liegen die Nachrufe schon parat. Und dann sagt dieser Mann den Satz: „Ich fühle mich wie ein kleiner Junge mit 15 Jahren.“

Nelson Mandela hat in Zürich die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 für Südafrika gewonnen. Zumindest einige der 24 Mitglieder des Exekutivkomitees fühlten sich in die Pflicht genommen. Die Stimmen, welche den Wahlkampf zugunsten der Nation vom Kap der Guten Hoffnung und gegen den ehrgeizigen Herausforderer Marokko gekippt haben, erklären sich mit dem Mandela-Effekt. 14:10 gegen Marokko, keine einzige Stimme für Ägypten. Tunesien und Libyen hatten sich schon zuvor aus dem Wettbewerb um das erste WM-Turnier in Afrika verabschiedet. Tunesien, weil der Weltverband keine gemeinsame Kandidatur mehr akzeptiert seit den teuren Erfahrungen mit der koreanisch-japanischen Doppelveranstaltung 2002. Das Nachbar- und ursprüngliche Partnerland Libyen, weil Muammar al-Gaddafi keine Garantien geben wollte, die Fußballauswahl des Staates Israel im Falle einer sportlichen Qualifikation zum WM-Turnier einreisen zu lassen.

In solchen Fällen kennt Fifa-Präsident Sepp Blatter kein Pardon. Blatter, der auch so geliebt werden möchte wie Mandela, hatte für die frühere Apartheid-Nation gekämpft. Südafrika hatte mit Mandela, Frederik de Klerk, dem letzten weißen Staatspräsidenten, und Erzbischof Desmond Tutu gleich drei Friedensnobelpreisträger mit auf den Zürichberg gebracht und letztendlich auch wegen dieser Figuren gewonnen. Dagegen verblassten die auf vielen Gebieten besseren Argumente der marokkanischen Kandidatur.

Die Delegation aus dem Königreich in Nordafrika hatte sich womöglich zu sicher gefühlt. Selbst in der letzten Nacht, in welcher bekanntermaßen die Stimmen der wackeligen Wahlmänner festgezurrt oder auf irgendwelche Art eingekauft werden, hatte sich das Bewerber-Team um den ehemaligen Banker Sead Kettami äußerste Zurückhaltung auferlegt. Mit dem Gefühl, in Blatters Parlament über eine Mehrheit von 13:11 zur verfügen, war das Team Marokkos ins Bett gegangen. Am Morgen aber hatte sich das Schicksal gedreht. Der Südkoreaner Chung, so hieß es, sei vom schwedischen Uefa-Präsidenten Lennart Johansson umgebogen worden; Slim Aloulou (Tunesien) habe ein in Aussicht gestellter Fifa-Job die Meinung ändern lassen; und Jack Warner sei direkt nach dem Votum von Kloten heim nach Trinidad und Tobago gedüst, damit er keinem, der auf das Wort einer der zwielichtigsten Gestalten des Weltsports gesetzt hatte, hinterher in die Augen sehen müsse.

Geschichten dieser Art haben bei der Vergabe von Fußball-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen schon immer eine Rolle gespielt – und werden vor allem im Lager der Verlierer als moralischer Beweis für die Unzuverlässigkeit vermeintlich verbündeter Funktionäre hergezogen. Eine andere These besagt, Marokkos Bewerbung sei nicht authentisch genug gewesen, weil sie in erster Linie von der amerikanischen Consulting-Firma Alan I. Rothenbergs und einer Gruppe internationaler Experten und Lobbyisten getragen worden sei. Nelson Mandelas Mannschaft dagegen wirkte in den entscheidenden Stunden wie eine eingespielte „Bafana-Bafana“, wie die Nationalauswahl Südafrikas genannt wird. Ein Team, dem man sein Herz für Afrika schon optisch abgenommen hat.