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Archiv-Artikel

Versetzt auf Bewährung

Bayern will das Sitzenbleiben drastisch einschränken. Wer zwei Fünfen oder Sechsen hat, darf zunächst trotzdem in die nächste Klasse vorrücken. Die CSU will den Abiturientenausstoß vergrößern und drückt in der Schule aufs Tempo

Eine Fünf im Zeugnis steht für „mangelhaft“ und zeigt an, das die Schülerin oder der Schüler das Unterrichtsziel nicht erreicht hat und den Kurs am besten wiederholen sollte. Bald nicht mehr, und das ausgerechnet in Bayern, wo viele CSU-Bildungspolitiker am liebsten bereits ab der ersten Schulklasse eindeutige Noten verteilen würden. Doch an den Gymnasien im Freistaat sollen bereits im kommenden Schuljahr die Schulordnungen so geändert werden, dass zwei Fünfen und selbst eine Sechs – „ungenügend“ – im Zeugnis nicht automatisch die Versetzung verhindern. Einen entsprechenden Entwurf hat das bayerische Kultusministerium vor kurzem veröffentlicht, in den nächsten Tagen stehen mündliche Erörterungen mit Eltern- und Lehrerverbänden auf dem Programm.

Im Kern sieht der Plan aus dem Hause von Monika Hohlmeier (CSU) vor, dass SchülerInnen, die etwa in Deutsch und Erdkunde auf Fünf stehen, nach einem Antrag der Eltern und einem Beschluss der Klassenkonferenz auf Probe in die nächste Klasse vorrücken. Bis zum 31. Oktober des nächsten Schuljahres müssen sie aber bessere Leistungen in den Problemfächern nachweisen. Allerding soll die Regelung nicht gelten, wenn die Fünfer oder Sechser ausschließlich Kernfächer wie Deutsch, Englisch oder Mathematik betreffen. Doch auch dann könnten Ausnahmen möglich sein.

Der Vorschlag aus dem konservativen Süden verblüfft auf den ersten Blick, schließlich hatten Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen ähnliche Modelle bereits vor Jahren wieder abgeschafft. Doch auch hier schlägt Pisa durch: Gern rühmt man sich in der CSU der eigenen guten Ergebnisse und verschweigt geflissentlich, dass die Studie die geringe Abiturientenquote in Bayern rügte: Nur gut 30 Prozent eines Jahrgangs erreichten 2003 die Fachhochschul- und Hochschulreife, während es schon im benachbarten Baden-Württemberg 10 Prozent mehr sind, in Nordrhein-Westfalen gar 47 Prozent. Das Abitur schaffen in Bayern sogar nur um die 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler. Die neue Regelung soll nun vor allem jenen helfen, denen zeitweilige persönliche Probleme, etwa in der Familie, die gymnasiale Schullaufbahn zu verbauen drohen, heißt es aus dem bayerischen Kultusministerium.

Abgesehen davon hat sich Edmund Stoiber fest vorgenommen, die im Vergleich zu anderen europäischen Staaten relativ lange deutsche Bildungslaufbahn drastisch zu verkürzen. Deshab wird in Bayern das Einschulungsalter gesenkt, Studiengänge werden abgekürzt und das achtjährige Gymnasium im politischen Eiltempo durchgedrückt. Die neue Verhandelbarkeit des Sitzenbleibens ist da nur ein weiterer Punkt dieses ehrgeizigen Programms.

Bislang erntet die CSU für ihren Vorschlag allerdings Kritik von allen Seiten. Die bayerische SPD klagt zu Recht, dass sie die Idee schon viel früher hatte und es dafür von der CSU stets Prügel setzte. Außerdem, so SPD-Chef Franz Maget, sei es noch sinnvoller, „schwächere Schüler frühzeitig individuell zu fördern“, statt erst dann einzugreifen, wenn der Druck der möglichen Nichtversetzung zusätzlich auf ihnen laste. Der Elternverband möchte das Sitzenbleiben am liebsten ganz abschaffen, während der Philologenverband „das Aufweichen der Vorrückungsbestimmungen skeptisch betrachtet“. Verbandschef Max Schmidt moniert insbesondere, dass der „Bewährungszeitraum“ bis zum 31. Oktober viel zu kurz sei und mindestens bis zum Zwischenzeugnis verlängert werden sollte.

Keine konkreten Vorschläge gibt es bislang darüber, ob die betroffenen SchülerInnen ihren Rückstand in Sommerferien-Paukkursen allein aufholen müssen oder ob die Schulen ihnen dabei mit spezieller Feriennachhilfe zur Seite stehen sollen. Der generelle Kurs, das automatische Sitzenbleiben per Note erheblich einzuschränken, findet jedoch fast überall Zustimmung. Von den etwa 50.000 Sitzenbleibern pro Jahr in Bayern könnten so wahrscheinlich mehr als die Hälfte auf Probe versetzt werden. Das Kultusministerium plant bereits, die Regelung auch auf Real- und Wirtschaftsschulen auszudehnen. JÖRG SCHALLENBERG