Nichts von Belang

Regie-Kokolores: Lukas Langhoff inszeniert im Schauspielhaus Lessings „Emilia Galotti“

Hurra, ein Einfall! Der Killer-Papa schlitzt den Sprinkler und steht allein im Regen

Ein Riss geht durch das bunkergraue Einheitsbühnenbild im Bremer Schauspielhaus: bürgerliches Heim und prinzliches Schloss. Rostig klafft die Rückwand auseinander. Eine blutige Wunde. Ein gieriger Schlund.

Ein Riss geht durch die Welt Lessings: „Bürgerstolz vor Fürstenthron“. Bürgerliche Unmoral gegen die höfische Unmoral. Rigoroser Standes-Codex gegen gähnende Dekadenz, alles begehren und besitzen zu wollen. Vernunft gegen Geilheit – in Sachen der Liebe. Einig ist man sich, persönliche Interessen als allgemeine Gesetze zu verkaufen, so dass jeder stets einen anderen zum Instrument seines Willens macht: der Prinz will Lust, sein Kammerherr Marinelli strebt Karriere an, Gräfin Orsina sinnt auf Rache, Emilia will Unschuld, der Vater Ehre, die Mutter Familienfrieden. Wie heutig.

Lessing ist eben auch ein Aufklärer der Moderne. Seine Emilia Galotti steht seit 232 Jahren für das Thema „Macht essen Seele auf“. Oder: Fürdie ewige Wiederkehr des Eros. Denn Lessing verstand nicht nur etwas von der Vernunft, auch vom Getriebensein.

Voller Erbarmen müsste heutige Regie den Gefühlen bis zum Abgrund nachspüren, genau herauslesen das geistige Leben in der eleganten Klarheit und schönen Präzision der Sprache. Mit feinsinnigem Psychologismus und radikaler Reduktion gelang dies zuletzt in Wien (Regie: Andrea Breth) und Berlin (Regie: Michael Thalheimer). In Bremen schien Lukas Langhoff prädestiniert, einen großen Wurf nachzulegen. Hatte doch der Berliner Regisseur seine Figuren bisher meist eindrücklich zwischen Rausch und Realität versagen, sich zwischen Handeln, Denken, Fühlen verirren lassen.

Doch als glaubte Langhoff dem Stück nicht, behauptet und kommentiert er nur Zustände, lässt nicht Entwicklungen erspielen. Popsongs gibt’s als akustische Illustration. Und darstellerische Ausbrüche ersetzen Rollengestaltung: Wenn Emilias Vater vernimmt, dass die Tochter der Sprache prinzlicher Galanterie ausgesetzt war, verfällt Hans-Werner Leupelt in ein Schrei-Zitter-Ballett: „Einer ist genug zu einem Fehltritt“, dröhnt er.

Hinzu gesellt sich Regie-Kokolores: ein Abgrund in der Bühnenmitte, der die Figuren ab und an mal einsaugt; ein Papa, der nicht nur Emilia aufschlitzt, sondern auch eine Sprinkleranlage, um allein im Regen stehen zu können. Außerdem irrlichtert eine Erzählerin durchs Geschehen, die pantomimisch zu illustrieren hat. Probt der Prinz sein Liebesgeständnis, zupft sie Blütenblätter fürs Er-liebt-mich/liebt-mich-nicht-Spiel. Kleine Einfälle, keine tragende Idee. Da bleibt den Darstellern nur, spannungslos für sich zu agieren. So kann auch Jördis Triebel die Emilia nicht retten. Nach des Prinzen Einladung zu Entzückungen und Schlaraffenleben taumelt sie noch brüstebebend über die Bühne – mit Lach-Schrei-Anfällen aus Angstlust. „Verführung ist die größte Gewalt“, heißt es bei Lessing. Aber wenn Triebels Emilia feststellt, dass sie den Mörder ihres Gatten nicht hasst, sondern begehrt, steht sie nur noch abwesend da. So wie das ganze Drama zwischen den Regie-Effekten vor sich hindöst. „Was haben wir Neues, Marinelli“, fragt der Prinz. „Nichts von Belang.“ Beider Blick tändelt ins Leere. Emilia zu ihren Füßen. Irgendwie tot. Irgendwie egal.

Jens Fischer

Nächste Aufführungen: 23. & 27. 5. sowie 17., 23., 25. 6. jeweils 20 Uhr