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DIE KRISE DER „FAZ“ FINDET AUCH IN IHRER REDAKTION STATTEin Spieler war nicht vorgesehen

Die So-li-da-ri-tät, vom wohltemperierten Bundesbürger beim gemütlichen Essen in Ehren gehalten, von den Kommunikatoren für den Hunger in der Welt gern herbeizitiert: Im Berufsstand der Medienmenschen selber ist sie nicht überentwickelt. Die Ursachen sind komplex. Individualität, Konkurrenzgesinnung, Eitelkeit, die täglich ihre Bestätigung sucht, die Überzeugung, unentbehrlich, zugleich die Furcht, morgen vergessen zu sein, pure Existenzangst – tausend Motive, die zusammenwirken, um dem Heer der Journalisten das aufzunötigen, was ihrem Selbstverständnis radikal widerspricht: Gehorsam.

Haben Redaktionen in den letzten Jahrzehnten gestreikt? Zogen sie mit Spruchbändern, roten Mützen und markig skandierten Sprüchen durch die Straßen? Besetzten sie die Druckereien? Nichts davon. Ein fast leeres Streiflicht auf Seite eins der Süddeutschen Zeitung war die dramatischste Aktion, zu der sich die Kollegenschaft entschloss, um ihren Protest gegen die Entlassungen sichtbar zu machen. Es ist wahr: Bei dem Münchener Blatt boten die Redakteure den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgelder, vielleicht auch Gehaltskürzungen an, um Arbeitsplätze zu retten – die Sparkommissare der neuen Gesellschafter winkten ab. Man ließ es dabei. Die Kollegen von der Frankfurter Rundschau, die ums Überleben kämpft, brachten größere Opfer; sie wurden akzeptiert.

Die FAZ? Lehnten sich die klugen Köpfe gegen die neue Kündigungswelle auf, die fünfzig Stellen in der Redaktion, fünfzig im Verlag kosten wird? Gerüchte besagen, es habe manche Stimme gemahnt, dem Weihnachts- und Urlaubsbonus zu entsagen – ein Chor wurde daraus nicht. Im Gegenteil: Man munkelt von Spannungen zwischen älteren Besitzstandswahrern und den Scharen der Jungtalente. Kein Einspruch, als den Gründervätern, mit denen die Zeitung groß geworden ist, die bescheidenen Zulagen zur bescheidenen Pension weggefetzt wurden. Keine Geste der Führungsequipe, die den guten Willen annoncierte, die Bitterkeit der Geschassten durch eigenen Verzicht moralisch zu mildern. Die fünf Herausgeber besitzen in der Mehrheit Verträge auf Lebenszeit. Sie aber sind mitverantwortlich für die prekäre Lage des Blattes, die nicht nur ein Produkt der Depression und der Anzeigenkatastrophe samt Dauerverlusten ans Internet ist, sondern auch die Folge grotesker Managementfehler, die vor allem auf dem Konto des prominentesten Konsortisten Dr. Frank-Felix Schirrmacher-Krull zu verbuchen wären: ein Mann von nahezu genialischen Gaben, der dem Feuilleton immer wieder Glanzlichter aufsetzte wie die Seite mit Enzensbergers Wolken-Zyklus, aber den Lesern, um der schieren Sensation willen, auch den antiamerikanischen Tobsuchtsanfall seines Venedig-Korrespondenten Dirk Schümer oder den antideutschen Amoklauf eines amerikanischen Exmilitärs zugemutet hat. Er will Aufsehen um jeden Preis, auch wenn das Bürgerblatt darüber zur Klamaukveranstaltung wird.

Ein besessener Egomane, der zweimal eine Redaktionselite zum Exodus trieb. Seinem Expansionsrausch, der bis ins Jahr 2001 anhielt, als die Zeitung in die roten Zahlen sackte, machte erst Mitherausgeber Nonnenmacher 2002 ein Ende, als der Übermensch mit dem merkwürdig unfertigen Posaunenengel-Gesicht das gesamte Feuilleton nach Berlin zu verfrachten plante, frech behauptend, so spare man Geld. Unterdessen verpasste er Korrespondenten vom Rang eines Joseph Hannimann in Paris den Strohhut, und Dietmar Polaczek in Mailand, den Berlusconi-kritischen Kulturbeobachter für Italien, schickte er in den Ruhestand. Schümer aber bleibt. Es geht an die Substanz.

Warum fordert keiner Rechenschaft für die Konsequenzen seines Größenwahns, obschon die Herausgeber qua Statut verpflichtet sind, für das wirtschaftliche Wohlergehen des Blattes zu sorgen? Weil man hofft, dass die Sonntagszeitung, mit der er den Verlag in ein grandioses Abenteuer der Vorwärtsverteidigung riss, nach drei oder vier oder fünf Jahren schwarze Zahlen schreiben wird? Der Himmel weiß, ob sich bis dahin die Stiftungskonstruktion der renommiertesten deutschen Zeitung behaupten lässt. Ein Spieler à la Schirrmacher war in ihrer Verfassung nicht vorgesehen. Aber die Redakteure sollten wenigstens klare Spielregeln für den Notstand fordern – wenn es denn sein muss: mit leeren Seiten. KLAUS HARPPRECHT

Der Autor, 76, ist seit 55 Jahren Journalist, u. a. bei der Zeit

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