Halbgötter in Bytes

Televisite soll den Arztbesuch in Zukunft ersetzen. Das NRW-Wirtschaftsministerium fördert Bochumer Unternehmen in der telemedizischen Forschung. Pflegedienste und Opposition skeptisch

VON NATALIE WIESMANN

Wartezimmer sind passé, der Onkel Doktor mutiert zum Chat-Partner. An einer Arztvisite per Internet forschen zurzeit die Gesellschaft für Informationsmanagement (IMA) und die Gesellschaft für telematische Traumatologie (Teltra) mit Sitz in Bochum. Fördergelder für die telemedizinischen Projekte kommen vom Bund und seit neuestem auch vom Land: NRW-Wirtschaftsminister Schartau hat am Mittwoch im Rahmen des „Ruhrpaktes“ Fördermittel von zwei Millionen Euro zugesagt.

Die „Televisite“ wird zurzeit am Bergmannsheil-Krankenhaus in Bochum bereits erprobt. „Es kommt bei den Testpersonen sehr gut an“, sagt Martin Ludwig, Geschäftsführer von IMA. Das System eigne sich für PatientInnen, die aus der Klinik entlassen werden und eine Nachbehandlung benötigten. Die Kranken bekommen ein elektronisches Gerät – das einem Foto-Handy ähnelt – mit nach Hause, mit dem sie die Wunden fotografieren und zum behandelnden Arzt schicken können. Der soll dann wiederum über dieses Gerät dem Patienten einen Befund schicken. Etwa hundert PatientInnen sind am Bochumer Modellprojekt beteiligt.

Das neu vom Land geförderte Projekt „Telebefund“ geht einen Schritt weiter: Er bindet Pflegedienste mit ein, die dann für bettlägerige Patientinnen beispielsweise Wunden aufnehmen und an den Arzt weiterleiten. Und mit „Telekonsil“ soll ein System entstehen, bei dem sich Ärzte gegenseitig elektronisch beraten können. „Bei speziellen Fällen kann die Telediagnose sinnvoll sein“, meint Claudia Wagner, Pflegedienstleiterin der Ambulanten Alten- und Krankenpflege in Dortmund. Kein Hausarzt sei heutzutage mehr bereit, bettlägerige Patienten zu Hause zu besuchen. „Aber für akute Sachen ist das völliger Schwachsinn“, sagt die Pflegeexpertin.

Auch Rudolf Henke, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion hat Vorbehalte. Er begrüße grundsätzlich die Telemedizin, doch man müsse sich fragen, „ob viele der neuen Errungenschaften nicht nur technische Spielereien seien.“ Wenn jemand sich beim Arzt versichern lassen wolle, ob sein Verband richtig angelegt sei, könne die Televisite nützlich sein. „Aber die Beurteilung von Wunden kann so nicht gewährleistet werden.“ Man müsse kein professioneller Fotograf sein, um zu wissen, dass die Farbechtheit im Internet nicht gegeben sei, so Henke. Die Landesförderung der Bochumer Forschung sei ihm außerdem noch nicht bekannt, „im Gesundheitsausschuss hat uns die Regierung nichts vorgelegt“, wundert er sich.

Bis zur massenhaften Anwendung der Televisite ist es allerdings noch weit hin: Die gesetzlichen Krankenkassen haben das neue System noch nicht anerkannt. „Vor der Einführung der elektronischen Gesundheitsakte im Jahre 2006 macht das keinen Sinn“, sagt Birgit Ursprung, Sprecherin der AOK Westfalen-Lippe. Erst müssten die Möglichkeiten der Identifizierung und der Datenschutz geregelt sein, dann könne man über eine elektronische Betreuung nachdenken.