: Die Eichenfraßgesellschaft
Nach der Miniermotte fressen nun die Eichenwickler und die Frostspanner den Bäumen die Kronen leer. „Eichen in schlechtem Zustand“, warnt der Umweltsenat – und will doch keine Panik machen
VON VERONIKA NICKEL
Bäume in Berlin haben es schwer. Nachdem im vergangenen Jahr vor allem die Miniermotte den Kastanien zusetzte, schlagen die Berliner Forsten nun auch für die Eichen Alarm. Die Übeltäter, die den dritthäufigsten Berliner Baum angreifen, heißen diesmal Eichenwickler, Frostspanner und Eichenprozessionsspinner. Ihre Raupen halten sich an Blättern und Knospen schadlos und sorgen im Ernstfall für einen völligen Kahlfraß.
Carmen Schultze, Pressesprecherin des Landesverbandes Bund und Naturschutz (BUND), warnt jedoch vor übertriebener Panikmache und winkt ab: „Ein Befall bedeutet nicht, dass die Bäume deswegen gleich umfallen.“ Von den vielen Widrigkeiten, denen die Bäume ausgesetzt sind, seien diese Schädlinge ein eher kleines Problem. Auch Thomas Ziska, Leiter der Fachgruppe Entomologie des Naturschutzbundes (Nabu), hält übermäßige Besorgnis für unangebracht. Der Frostspanner sei „höchstens im privaten Gartenbereich relevant“. Abgesehen davon würden durch Pilzerkrankungen die Schädlings-Populationen in der Regel ohnehin dezimiert.
Rolf Kehr vom „Institut für Pflanzenschutz im Forst“ der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA), schätzt die Gefahr für den Baumbestand ebenfalls gering ein. Eichenwickler und Frostspanner seien als Vertreter der „Eichenfraßgesellschaft“ ein natürlicher Bestandteil der Fauna. Im Gegensatz zur Miniermotte, die als Neuling aus dem süddeutschen Raum erst eingeschleppt wurde, existieren sie im Berliner Raum schon seit Jahrhunderten. Ihnen stehen natürliche Feinde wie die Schlupf- oder Erzwespe gegenüber, die ein Überhandnehmen der Schädlinge regulieren – wenn auch zeitverzögert. Der Forstpathologe wehrt sich strikt dagegen, „immer gleich mit der chemischen Keule gegen alles vorzugehen, was da knabbert und frisst“.
Schwierig werde es immer dann, wenn Bäume bereits geschwächt seien. Die Kombination aus Witterungsbedingungen und Umweltstress – vor allem der Stickstoffmenge – sollte dabei mehr Anlass zur Besorgnis geben als der Schädling an sich. Doch um eine Panikmache geht es Marc Franusch, Sprecher der Berliner Forsten, auch nicht. Angesichts der zum Teil auffällig ausgedünnten Baumkronen will er mit dem Hinweis auf die Schädlinge lediglich für Aufklärung innerhalb der Bevölkerung sorgen.
Normalerweise sind die Eichen spätestens Mitte Juni voll belaubt. Schuld an der ganzen Misere ist das Wetter – vor allem der zu trockene April. „Wir hoffen, dass es jetzt noch richtig viel regnet.“ Dabei ist der Zustand der Eichen jedoch von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich. Während der Tegeler Forst weitgehend schädlingsfrei ist, sieht es im Grunewald dünn aus. Für Förster Franusch Grund genug, um wegen der dortigen Alteichen, die zum Teil noch aus dem Dreißigjährigen Krieg stammen, Alarm zu schlagen. Ungeachtet der Populationsentwicklung der gefräßigen Schmetterlingslarven kommen Pestizide nach der jetzigen Lage jedoch „sicherlich nicht zum Einsatz“. Schon allein, da der 29.000 Hektar große Berliner Wald unter die Zertifizierung des naturbetonten Forest Stewardship Council (FSC) fällt, die eine Verwendung chemischer Mittel nicht erlaubt.
Hoffnung liegt in der Natur selbst. Denn im Gegensatz zu den Kastanien besitzen Eichen die Möglichkeit, ein zweites Mal im Jahr auszutreiben. Dieser „Johannistrieb“ ist in der Lage, die lichten Baumkronen wieder aufzufüllen und die Folgen des Kahlfraßes zu beseitigen. Die Besorgnis kann sich also in Grenzen halten. Eine Ausnahme besteht lediglich hinsichtlich des possierlichen Eichenprozessionsspinners. Die Haare seiner Raupen können beim Menschen allergische Reaktionen hervorrufen. Da er vor allem in den Berliner und Brandenburger Wäldern vorkommt, seien vor allem wanderfreudige Waldspaziergänger und Forstarbeiter gewarnt.
Wie schlimm es wirklich um die Berliner Eichen steht, soll nun eine Untersuchung zeigen. Geplant ist, dass das Berliner Pflanzenschutzamt und die Landesforstverwaltung Eberswalde die nächsten Wochen gemeinsam nach den genauen Ursachen forschen.