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Archiv-Artikel

Spitze Schreie aus hochhackigen Schuhen

Distinktionsbedürfnis und Enttäuschung: Als „Sex and the City“ anlief, lag der Gedanke nahe, die Serie habe etwas mit Feminismus zu tun. Stimmt nicht, konnte man bei der Lesung aus Texten zur Fernsehserie im BKA-Zelt feststellen

Mit dem Kult ist es ja so eine Sache. Wird nämlich vor Filmen oder Serien, die mal irgendwann als innovativ, anders und überraschend galten, das K-Wort gehängt, heißt das meistens nichts anderes, als dass dieses ehemals Neue endgültig in die Niederungen des nivellierten Massengeschmacks angekommen ist. Aber eigentlich heißt Kult ja nichts anderes als „eine gemeinschaftlich begangene sakrale Handlung, die mit diversen Ritualen verbunden ist wie zum Beispiel mit der Erbringung von Opfern“.

Am Freitag im BKA-Luftschloss waren es stolze 20 Euro, die geopfert werden mussten, um einer Synchronsprecherin knappe 90 Minuten dabei zuzugucken, wie sie von einem Blatt Papier Geschichten ablas, die es schon seit einigen Jahren in Buchform und nun auch noch als Hörkassette gibt. Mit dieser Lesung wurde klar, dass „Sex and the City“ – nach Fernsehausstrahlung, DVD- Pressung und geplanten Kinofilm – das allerletzte Stadium in der medialen Verwertungsmaschinerie erreicht hat.

Das große Zelt am Schlossplatz war gefüllt mit 25- bis35-jährigen Frauen mit hochhackigen Schuhen und erwartungsvollen Gesichtern, von denen es die meisten gar nicht schlimm fanden, zu stehen oder auf den Treppenstufen Platz zu nehmen. Denn was zählte, war offenbar dabei zu sein. Die Glücklichen, die noch einen Stuhl an einem der kleinen Tischchen in der Raummitte bekommen hatten, ließen sich von weißbeschürzten Kellnern Prosecco, Caipirinha und Latte Machiato bringen und warfen verstohlene Blicke auf die paar Männer, die sich unter das weibliche Publikum gemischt hatten.

Und ist etwas irgendwann einmal „Kult“ geworden, kann man diesen offensichtlich mit den einfachsten Mitteln beschwören. Auf der Bühne sah man eine schwarzweiße Leinwand, auf die jemand so etwas Ähnliches wie die Skyline von New York gepinselt hatte. Davor standen ein Sofa mit einem Überwurf aus Leopardenfell und daneben zwei Lampen, wie man sie für 30 Euro bei Ikea bekommt. Dann trat eine blonde Frau auf die Bühne, die einen senfgelben, schlecht sitzenden Mantel mit einer roten Bluse, grünen Hotpants und schwarzen Overknee-Stiefel trug. Fotoapparate surrten und warfen blaue Blitze auf die Bühne und die Frau, die die deutsche Synchron-Stimme der Carrie – Galionsfigur der Serie – spricht, begann Geschichten aus New York vor zu lesen. Es ging um Cocktailpartys, Modenschauen und Galerieeröffnungen und darum, wie Männer und Frauen zusammenkommen bzw. nicht zusammenkommen. Dazwischen fielen Sätze wie: „Charlotte hatte gerade mit einem Banker Schluss gemacht, weil sein Ding zu klein war. Nur zeigefingergroß.“

Und während die Frauen im Publikum wie auf Kommando spitze Schreie ausstießen und die Männer ein möglichst unbeteiligtes Gesicht aufsetzten, kam einem in den Sinn, dass das vielleicht alles ein riesengroßes Missverständnis sein könnte. Denn irgendwann, lange bevor das Wörtchen mit dem Kult aufkam und als die Serie gerade in den USA angelaufen war und die ersten Wellen der Begeisterung über die vier Frauen aus New York auch nach Europa schwappten, hatte man „Sex and the City“ noch als charmanten feministischen Anarchismus begreifen können. Hier suchten vier Frauen nach dem Glück in Form eines Mannes, aber das taten sie ziemlich illusionslos und pragmatisch und nicht ohne nebenher Karriere zu machen und Geld zu verdienen. Aber als der Erfolg der Serie immer größer wurde, war klar, dass Frauen zwar viele Bettpartner haben dürfen, aber nur solange sie so hübsch, nett, erfolgreich und gut angezogen waren wie Carrie, Miranda, Samantha und Charlotte.

„Es hat uns viel Einsamkeit gekostet“, las die Synchronsprecherin noch die Gedanken der New Yorker Kolumnistin Carrie am Ende einer Geschichte vor. Der Satz ging an diesem Abend in der kultischen Begeisterung irgendwie unter. SANDRA LÖHR