Mit Oberwasser

„Eine Geschichte des Schwimmens“ (19.00 Uhr, Arte) ist eine Doku so unnütz wie das Schwimmen selbst, macht aber auch ebenso viel Spaß

VON HEIKO DILK

So was weiß man nicht unbedingt: Die Kirche ist daran Schuld, dass Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts etwa 90 Prozent der Europäer nicht schwimmen konnten. Trotz der Aufklärung und trotz der Tatsache, dass Jean Jacques Rousseau oder John Locke „Befürworter“ des Schwimmens waren. Im Mittelalter aber wurden Schwimmer bestraft, weil sie sich in die Hände von Dämonen begaben – glaubte man jedenfalls. Schwimmen war also moralisch nicht ganz einwandfrei. Weshalb Nicolas Winnmanns 1528 erschienenes Buch „Colymbetes“ – was so viel wie „Teichschwimmer“ heißt, und eine Anleitung zum Schwimmen war – auch auf den Index kam. Das wirkte noch lange nach.

Man kann ja über alles Mögliche Dokumentarfilme drehen. Am besten über historisch, politisch oder wissenschaftlich bedeutsame Ereignisse. Oder auch über weniger bedeutsame Dinge, wie Kraftfahrzeuge, Flugzeugträger oder Verbrechen. Claudia Kuhland und Ralf Breier haben sich das Schwimmen ausgesucht, und ihre Doku „Eine Geschichte des Schwimmens“ ist sogar zweimal 43 Minuten lang und läuft heute und morgen um 19.00 Uhr auf dem Schwimmkanal Arte.

Das ist nicht selbstverständlich, dass ein Sender für eine so banale Tätigkeit so viel Sendezeit übrig hat. Es lohnt sich aber, nicht nur wegen der schönen Unter- und Überwasseraufnahmen, sondern auch, weil man das mit der Kirche und dem Schwimmverbot erfährt. Oder, dass die Japaner bis in die 1920er-Jahre das zweiarmige Kraulen nicht kannten, sondern in alter Samurai-Tradition immer nur den einen Arm benutzten. Deshalb hatten die Japaner bis dahin im internationalen Schwimmsport auch wenig Erfolg. Dafür sieht es aber ziemlich gut aus, wenn jemand, den halben Oberkörper aus dem Wasser ragend, den einen Arm in einem graziösen Bogen über den Kopf haltend (der war für das Schwert), durch das Schwimmbecken gleitet – besonders aus der Unterwasserperspektive. Die 30er waren dann das Jahrzehnt der Japaner, weil sie – kein Wunder – über eine ziemlich gute Technik verfügten.

Das alles muss man nicht wissen. Man muss auch nicht wissen, dass, wer im antiken Griechenland nicht schwimmen konnte, als ungebildet galt. Die Information, dass das Kraulen noch im 20. Jahrhundert als unfein galt, während die Ägypter schon vor 4.000 Jahren den „Zweiarmschlag“ kannten, ist auch ganz und gar unnütz. Ebenso wie die Tatsache, dass, wer den Ärmelkanal durchschwimmt, je nach Tide zwischen 40 und 60 Kilometern zurücklegt. Es ist aber interessant, und die Autoren lassen kaum etwas unerwähnt. Geht es im ersten Teil um die Kulturgeschichte des Schwimmens und um Langstreckenschwimmer, widmet sich der zweite Teil dem sportlichen Aspekt, der Entwicklung der Schwimmtechniken und ein wenig auch der Bademode.

Kuhland und Breier lassen dabei von Philosophen über Schriftsteller bis zu Weltklasse-Schwimmern und Schwimmtrainern alle möglichen Leute zu Wort kommen und ihnen allen merkt man die Faszination an, die das Schwimmen und das Wasser für sie hat. Am deutlichsten sagt das die Australierin Dawn Fraser, die in den 50ern die erste Frau war, die die 100 Meter unter einer Minute schwamm: „Wenn du gut schwimmst, dann fliegst du über den Pool, das Wasser teilt sich für dich. Alles ist einfach.“ Wer nicht mal das „Seepferdchen“ hat, wird das wohl kaum erlebt haben, es aber sicher verstehen – und vielleicht auch ein wenig neidisch sein.