: Ziel verfehlt, Kurs gehalten
Finanzsenator Sarrazin, sonst Freund klarer Worte, geht mit dem Haushaltsentwurf eher sanft um. Statt wie angestrebt 2006 sollen Einnahmen und Ausgaben, von Zinsen abgesehen, 2007 im Lot sein
von STEFAN ALBERTI
In der Regel ist Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ein Mann der klaren Sprache. Da mag man sich im Hause von PDS-Wissenschaftsenator Thomas Flierl noch so mühen, ein neues Punktesystem für die Hochschulen gegen „plumpe Langzeitgebühren“ abzugrenzen – für Sarrazin ist das nichts. „Das heißt jetzt ‚Credit Points‘, aber gemeint sind Studiengebühren“, sagt er bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs für 2004/2005. Verblümter hingegen urteilt er über die Sparsumme, die der Senat bis zum Dienstagabend zusammenkratzte. „Natürlich kam nicht ganz das heraus, was ich mir ursprünglich erwartet hatte.“ Aber daran habe wohl auch keiner wirklich geglaubt. Immerhin sei ein „beachtlicher Teil“ geschafft.
Was Sarrazin da für seine Verhältnisse nett beschreibt, liest sich in den von ihm vorgelegten nackten Zahlen erst mal weniger gut. Statt der jetzt beschlossenen 922 Millionen Euro wollte der Senat bis 2005 deutlich mehr einsparen – und bleibt 540 Millionen hinter seinen eigenen Ankündigungen zurück. Dadurch wird es nichts mit dem erklärten Ziel der rot-roten Koalition, mit Ausnahme der Zinszahlungen bis 2006 Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen. Erst 2007, ein Jahr nach der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus, soll das funktionieren und noch ein Plus von 84 Millionen ergeben.
Größte Kürzungsposten im Doppelhaushalt der nächsten beiden Jahre: die Ausgaben im Sozial- und Gesundheitsressort, wo 2005 gegenüber heute fast jeder 7. Euro wegfällt, und im dann um 7 Prozent gekürzten Bereich Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Dennoch muss sich das Land in diesen beiden Jahren mit weiteren 8,4 Milliarden verschulden.
Längst ist keine Rede mehr davon, in absehbarer Zeit ohne neue Kredite auskommen und den Haushalt komplett ausgleichen zu können. Der kaum 16 Monate alte Koalitionsvertrag von SPD und PDS hatte dafür noch das Jahr 2009 klar festgelegt. Sarrazin, der erst nach Vertragsschluss nach Berlin kam, hatte sich selbst bald nach Amtsantritt von diesem Datum distanziert.
Die Finanzmisere hat inzwischen zur Folge, was in anderem Zusammenhang die städtischen PR-Strategen jubeln ließe: Berlin ist großes Thema internationaler Medien. Das US-Nachrichtenmagazin Time kündigt „Berlin’s blues“ – 4-seitig mit allen miesen roten Zahlen im Heftinnern – schon auf der Titelseite an. Und der britische Sender BBC grub am Dienstagabend in einem Sarrazin-Interview dessen Zitat vom argentinischen Haushalt aus, der im Vergleich zum Berliner durchfinanziert und solide sei.
„Lost in the Dark“ titelt Time und sieht Berlin wegen seiner Verschuldung am Abgrund. Strukturelle Fortschritte bei der Haushaltssanierung sind allerdings trotz des nicht eingehaltenen Zeitrahmens nicht zu bestreiten, wie etwa aufgrund des Rückzugs bei der Wohnungsbauförderung oder der zu Wochenbeginn erzielten Einigung im öffentlichen Dienst.
Sarrazin sieht das Land deshalb gerüstet: „Das ist die Basis dafür, dass wir im September in Karlsruhe klagen können.“ Beim Bundesverfassungsgericht will der Senat eine extreme Haushaltsnotlage darlegen und Hilfe vom Bund fordern. Diese Gelder sollen nicht die laufenden Ausgaben finanzieren, sondern die Landesschulden von derzeit 51 Milliarden Euro mindern. Sie sind der Grund, dass Berlin 2004 jeden neunten Euro des fast 21 Milliarden großen Haushalts für Zinsen ausgibt – 2007 sogar jeden siebten. 35 Milliarden Euro will Sarrazin daher vom Bund. Ein Urteil erwartet er nicht vor Mitte bis Ende 2005.
Vor diesem Hintergrund drängte Sarrazin, von den jetzt beschlossenen Zahlen nicht abzuweichen: „Entscheidend in Karlsruhe ist, dass man einen nachhaltigen Trend belegt und dass man die Zahlen auch umsetzt. Das wird für uns der eigentliche Test sein.“ Damit machte er klar, dass er von der SPD-PDS-Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus Disziplin erwartet. Das Landesparlament berät ab Ende August über den Entwurf des Senats. Der Haushaltsbeschluss ist für Mitte Dezember geplant.
Änderungen sind dennoch alles andere als ausgeschlossen. Denn der Entwurf sieht die nach dem Willen von Kanzler Schröder auf 2004 vorzuziehende Steuerreform nicht vor – „weil wir noch nicht sehen, dass das wirklich zu einem Gesetz reifen wird“, sagte Sarrazin am Dienstag. Ebenso wenig ist eine Entlastung der Sozialausgaben durch das Hartz-Konzept veranschlagt, „weil es einfach noch nicht haushaltsreif ist.“ Würde Hartz umgesetzt, spare das Land einen hohen 3-stelligen Millionenbetrag.
Damit mag der Finanzsenator jetzt nicht rechnen. Der Justiz etwa, die nach mehr Richterstellen ruft, legt er bessere Organisation bei Prozessterminen nahe. In hier wieder klarer Sprache empfiehlt er als Vorbild ein Ausflugslokal: „Das muss auch seine Ressourcen organisieren, wenn der Holländerbus kommt.“