JOACHIM LOTTMANN ÜBER MARX 2.0
: Die Stunde der Lobbyisten

Die 50 Milliarden der Bundesregierung könnten so viel besser investiert werden. In Bildung zum Beispiel

Das „Rettungspaket“ der Bundesregierung ist nicht besonders populär, ach, eigentlich ist es nicht der Rede wert, für die meisten. Was soll das schon sein, wenn nicht eine Selbstverständlichkeit? Geld muss „in die Hand genommen werden“, damit „der Konjunkturmotor wieder anspringt“, logisch. Was sollte man daran noch diskutieren? Geld her, Wirtschaft bullert los.

Das hat Hitler so gemacht, Roosevelt genauso, Schiller & Strauß, bis hin zu, ja, JEDEM. Jeder hat es so gemacht. Kein Grund, darüber zu reden. So sind arschlangweilige Dauerthemen wie etwa „Sind Hybrid- besser als Elektroautos?“ noch beliebter als die Frage, wer die 20, 50 oder 100 Milliarden des Konjunkturprogramms bekommt.

Die Leute denken, die Antwort ohnehin zu kennen: Es wird ein bisschen gebaut, hier eine Umgehungsstraße, dort ein nutzloses Klärwerk. Oder alte Häuser werden durch neue ersetzt und dann irgendwelche Prozentsätze bei den Lohnnebenkosten verändert, was Unsummen verschlingt, und natürlich fließt das meiste Geld in die Bildung.

So? Wirklich? Das müsste doch heißen, dass wenigstens Lehrer eingestellt werden. Für 50 Milliarden könnte man für jedes Kind fünf Privatlehrer anschaffen und einen Rolls-Royce dazu. Aber seltsamerweise wird kein einziger Lehrer eingestellt, und in den überfüllten Klassen herrscht weiterhin die Völkerschlacht von Leipzig. Wenn die Kleinen überhaupt Lesen lernen, liegt es daran, dass die Eltern es ihnen beibringen, zu Hause, nicht im kollabierenden Tollhaus Schule. Also wer kriegt das Geld, wenn von Bildung gesprochen wird? Wer kriegt überhaupt das ganze Geld, die fünfzigtausend Millionen Euro von der ersten Schippe (später gibt’s noch Nachschlag)? Es ist die Stunde der Lobbyisten.

Auf jeden Abgeordneten kommen zahllose Lobbyisten, die nun mit ihm feilschen. Die Abgeordneten können überhaupt nichts anderes mehr machen, als mit diesen Mittelsmännern zu kommunizieren, einfach, weil so viel Geld zu verteilen ist. Natürlich gegen Gegenleistung. Es ist solch ein Hauen und Stechen, Betteln und Prahlen, Spenden und Versprechen, Gutes tun und darüber Reden, Korrumpieren und Verschleiern, dass nun wirklich keine Zeit mehr bleibt, auch noch an jene Leute zu denken, die KEINE Lobbyisten haben. Ein Lehrer etwa oder ein einfacher Bürger.

Seltsamerweise gibt es in dieser hektischen Angelegenheit keine Opposition im Bundestag. Zumindest die Parteien, die nicht an der Macht sind und nichts zu verteilen haben, also Grüne, Liberale und Linke, müssten doch mal konkret aufzeigen, wohin die Milliarden fließen. Wirklich in irgendeine Art von Verbesserung, in mehr Krankenschwestern, eine qualifiziertere Lehre und Forschung, Kindergärten, Betreuer, Pädagogen, Hilfe für Alleinerziehende, einen Pingpong-Tisch fürs Seniorenheim, eine Bibel fürs Hospiz, IRGENDETWAS? Nein, die Gießkanne wird vollständig über der deutschen Wirtschaft entleert, und die tut damit, was sie will. Anders als bei Hitler und Bush, die wenigstens noch Fregatten, Flugzeugträger, Kampfpanzer und so weiter für die Steuermilliarden anschafften, wird diesmal das Geld einfach nur von den Firmen eingesackt. Natürlich wird damit dann etwas hergestellt, pro forma, für die Buchhaltung, aber bestimmt nichts Nützliches.

Doch zurück zur Frage, warum die Opposition nicht aufklärt. Gregor Gysi etwa sagt, die 50 Milliarden seien zu wenig, man brauche 100 Milliarden. Die Grünen erklären, einiges sei gut an dem Programm, anderes schlecht. Das klingt so, als würden sie gern den Mund halten, wenn sie nur eine von den 100 Milliarden für ihre bekloppten Windräder abbekämen. Und Guido Westerwelle von der FDP? Ihm müssten doch die Haare zu Berge stehen, bei so viel Schmierentheater statt anständigem Kaufmannsgeist. Wo bleibt Handel und Wandel, Angebot und Nachfrage, gesunder Konkurrenzkampf, survival of the fittest? Noch zwei, drei, vier weitere Rettungsschirme und wir haben Zustände wie in Simbabwe! Das weiß wahrscheinlich Westerwelle, und deswegen bleibt ihm das Wort im Halse stecken.

JOACHIM LOTTMANNMARX 2.0

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