dieter baumann über Laufen : Mit Schweinsbraten schlank werden
Wer schwitzt, braucht nicht zu hungern. Aber den meisten geht es beim Laufen gar nicht ums Abnehmen
Mein Besuch bei der großen Sportartikelmesse Ispo in München stand in diesem Jahr ganz unter dem Motto „Laufen“. Unmittelbar nach den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm brachte er mir ein wahres Kontrastprogramm. Immer mehr Menschen bringen sich in Bewegung, lassen nicht nur ihre eigenen Herzen schneller und höher schlagen, sondern auch die Herzen der Sportartikelhersteller.
Jeder, der läuft, braucht einen Laufschuh, und deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die reinen Laufschuhe im Marktanteil der verkauften Modelle selbst die Fußballschuhe überholt haben. Ja, Deutschland liebt den Fußball, aber es läuft auch – und das ist gut so. Warum das so ist, macht die Geschichte in der taz von Stefan Kuzmany von letzter Woche deutlich: Schweinsbraten essen oder zweistückpizzaunddazueinecola, gleichzeitig aber von 85 auf 70 Kilo abzunehmen, wird sehr schwierig.
Beim Lesen fiel mir sofort eine Laufeinsteigertruppe ein, die ich betreut habe. Acht Journalisten waren wild entschlossen, mit dem Laufen zu beginnen, aber nicht nur so zum Vergnügen, sondern es musste der Stuttgart-Lauf sein. Das war das große Ziel: sieben Kilometer, ohne zu gehen. Bei einem der Teilnehmer brachen angesichts des Trainingsprogramms ganze Lebensgewohnheiten auf. Kurz vor der ersten Laufeinheit sieben Wochen vor dem Wettkampf verzichtete er auf das Auto und ging 600 Meter zu Fuß zum Wochenmarkt. „Zum Ausgleich für diese Anstrengung zweimal fett essen gegangen“, vermerkte er danach in seinem Trainingsprotokoll. Nun, damit kann ich als Coach leben, solange gelaufen wird. Ganz wie Hitzfeld bei den Bayern halte ich Geldstrafen für absolut wirkungsvoll. Wer nicht zum Laufen erscheint, zahlt fünf Euro. Vielleicht sollte Kuzmany es anstelle von zehn Bauchmuskelübungen mit Laufen probieren, dann braucht er auf seinen Schweinsbraten nicht verzichten. Denn Laufen – oder grundsätzlich Bewegung – ist im Hinblick auf Gewichtsreduktion nahezu konkurrenzlos.
Bei einem Körpergewicht von 70 Kilogramm verbrauchen Sie bei einem einstündigen langsamen Dauerlauf von zehn Kilometern etwa 700 Kilokalorien – zusätzlich, wohlgemerkt. Dann spielt es auch kaum noch eine Rolle, ob eine Apfelschorle mehr oder weniger Kalorien hat als ein Bier. Am Ende jeder Diät oder „Entsagung“ steht eine einfache Regel: Sie müssen mehr Kalorien verbrauchen, als Sie zu sich nehmen. Mit nur dreimal Laufen pro Woche schaffen Sie sich ideale Voraussetzungen für bessere Fitness und spürbares Abnehmen, ohne auf Lieblingsspeisen zu verzichten.
Ich weiß, dieses Gesundheits- und Gewichtsargument zählt bei vielen nicht. Im Grunde erklärt es auch nicht die Euphorie vieler LäuferInnen, die unbedingt an einem der zahlreichen Stadtläufe teilnehmen wollen. Meine Lauftruppe aus Stuttgart ist in dieser Frage überhaupt keine Ausnahme. Der Wettkampf gilt als schick, als Herausforderung, als großes Ziel.
Die fast euphorisierende Vorfreude zeigt an manche Stellen sonderbare Blüten. Bei der Ispo erzählte man sich von Aussteller zu Aussteller mit großem Vergnügen die Anmeldeaktion für einen kleinen Lauf in der Nähe von Aachen. Die Veranstalter gaben ein bestimmtes Datum mit Uhrzeit bekannt, an der sich die Bewegungswilligen im Internet anmelden konnten. Nach nur vierzig Minuten, so das Gerücht, war der Lauf überbucht und die Seite musste wieder vom Netz genommen werden. Der Boom scheint keine Grenzen zu kennen. Marathonveranstaltungen stellen jährlich Teilnehmerrekorde auf und müssen aus Sicherheitsgründen ihre Felder dichtmachen. Dasselbe gilt für kleinere Stadt- oder Erlebnisläufe.
Bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Ulm war von diesem Laufboom aber leider nicht viel zu spüren. Seit Jahren schrumpfen die Teilnehmerzahlen in allen Disziplinen. Bei meinem ersten Meisterschaftsstart 1985 in Stuttgart gab es noch ein volles Programm aller Laufdisziplinen von 800 bis 10.000 Meter. Die Veranstaltung dauerte drei Tage. Es begann am Freitagabend mit der längsten Strecke und sofort anschließend mit den Vorläufen über 5.000 Meter. Allein durch diese zwei Disziplinen tummelten sich rund 60 Läufer auf dem Einlaufplatz. 18 Jahre später, der Laufboom überrollt Deutschland und ganze Heerscharen von LäuferInnen fallen in die Wälder ein, waren bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften 16 Läufer über 5.000 Meter am Start – Vorläufe gibt es schon lange nicht mehr, und die Meisterschaft über die 10.000-Meter-Distanz findet schon seit Jahren im Mai statt. In diesem Jahr mit sage und schreibe zwölf Teilnehmern.
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