: Ende! Wende?
Reichlich buchhalterische Mängel beschertem dem Jungen Theater Göttingen die Insolvenz
aus Göttingen Holger Schleper
Als geradezu prophetisch stellte sich die Stückauswahl des Jungen Theaters (JT) in Göttingen für die Spielzeit 2003/04 heraus. Denn am 30. Januar feierte die Aufführung Rio Reiser – Der Kampf ums Paradies Premiere. Nur kurze Zeit später musste das Schauspielhaus Insolvenz anmelden.
Nun kämpft die traditionsreiche Bühne um ihr Fortbestehen, und das, obschon das Schauspielhaus auf die bestbesuchte Spielzeit seit langen Jahren verweisen kann. Wie es dazu kommen konnte und wie die Existenz des Hauses gesichert werden kann, erregt in der südniedersächsischen Stadt derzeit die Gemüter.
Ende vergangenen Jahres stellte der Landschaftsverband Südniedersachsen die Zahlung öffentlicher Gelder an das Theater ein. Grund: Von Seiten des JT waren keine Verwendungsnachweise für die Landesmittel beigebracht worden, die 2002 an das Haus gezahlt wurden. „Das JT hat erhebliche Probleme mit einer ordentlichen Buchführung“, stellt Olaf Martin vom kulturellen Förderverband fest.
Bereits 1999 hatte der Landesrechnungshof auf starke Mängel im Finanzgebaren hingewiesen. Martin nennt als Beispiel, dass teilweise über Jahre hinweg Sozialabgaben für Mitarbeiter gar nicht oder nur zum Teil geleistet wurden. Aus diesem Grund wurde zu Jahresbeginn das Insolvenzverfahren eröffnet. Ohne den öffentlichen Zuschuss fehlten dem JT 124.000 Euro für das Jahr 2003. Geld, das laut Martin auf einem Konto bereitlag und bei ordnungsgemäßem Nachweis über die Verwendung der Landesmittel binnen zwei Tagen überwiesen worden wäre.
Wurde es aber nicht. Die Stadt sprang in die Bresche und sicherte den Fortbestand des Theaters zunächst bis zum 30. Juni dieses Jahres. Im Zentrum der Kritik steht mittlerweile der zurückgetretene kaufmännische Geschäftsführer Horst Wattenberg. „Es haben sich in der wirtschaftlichen Führung handwerkliche Fehler herausgestellt, die nicht zu entschuldigen sind“, gibt Torsten Schilling zu, Intendant und künstlerischer Geschäftsführer.
Weiter Öl ins Feuer gießen möchte er nicht. Denn die Zukunft des Hauses, das seit 1957 existiert und in dem SchauspielerInnen und Literaten wie Evelyn Hamann, Bruno Ganz und Benjamin von Stuckrad-Barre erste Auftritte hatten, ist im Augenblick noch keineswegs gesichert.
Seit Jahrzehnten gebe es in Göttingen die für Niedersachsen einzigartige Situation, dass zwei Theater einer Stadt – neben dem JT auch das Deutsche Theater – eine regelmäßige, projektunabhängige Förderung des Landes erhielten, erklärt Olaf Martin. Mit Blick auf die klammen Kassen lieferte das JT der Landesregierung nun eine Steilvorlage zum Nachdenken darüber, ob die Gelder gut angelegt sind.
Entsprechend galt es für die Politiker Göttingens, schnellstmöglich ein neues Konzept für das angeschlagene Haus vorzulegen. Gefunden wurde es in einem Vorschlag des Regisseurs Andreas Döring, der kürzlich eine Produktion am JT geleitet hat. Die rot-grüne Mehrheit im Rat der Stadt gab dieser Ausarbeitung den Vorzug vor einem konkurrierenden Konzept, das Torsten Schilling vorgelegt hatte und von der CDU-Ratsfraktion favorisiert wurde. Der Noch-Intendant erklärte deshalb, für das JT künftig nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Während Schillings Entwurf kein festes Ensemble mehr vorsah, sondern auf Gastspiele setzte, baut Döring weiter auf einen festen Kreis von SchauspielerInnen. Derzeit sind sieben an der Göttinger Bühne engagiert. Den Vorwurf, keinen eindeutigen Bruch mit dem alten Aufbau des Hauses zu vollziehen, lässt Döring dabei nicht gelten. „Das Haus wurde nicht geführt, wie es der Druck öffentlicher Gelder verlangt.“ An der Kunst sei das Haus sicher nicht gescheitert. Eine Einschätzung, der auch Olaf Martin zustimmt: „Der künstlerische Output war nie das Problem.“
Von entscheidender Bedeutung wird nun sein, wie die kulturpolitischen Entscheidungsträger des Landes das Konzept Dörings beurteilen. Zwar hat der Göttinger Rat beschlossen, dem Theater weiter Mittel bis Mitte 2005 zur Verfügung zu stellen. Dies aber nur unter strengen Voraussetzungen. Unter anderem müsse das Land einen Zuschuss von 100.000 Euro gewähren und die kommunale Aufsichtsbehörde in Braunschweig ihr Plazet für freiwillige, das heißt nicht gesetzlich verlangte, städtische Zuwendungen an das JT erteilen.
Göttingen muss weiter um den Fortbestand des Hauses zittern. „Für die Stadt wäre es wichtig, wenn das Theater nicht die Türen schließen muss“, sagt die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Katharina Lankeit. Sie verweist darauf, dass eine renommierte Studentenstadt auch ein kulturelles Angebot brauche, das übers Herkömmliche hinausgeht. Deshalb hofft sie auf die heilende Wirkung eines Umbruchs: „So eine Bereinigung kann gut sein. Das ist auch eine Chance.“
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