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Archiv-Artikel

Prozession der Bleche

Anachronistischer Streit: Bezirksamt Mitte will die inzwischen mehrheitlich von der Einwohnerschaft geschätzte moderne „Schiffsbleche“-Skulptur Horst Hellingers am St. Georgskirchhof zugunsten von Gastronomie entfernen lassen

von PETRA SCHELLEN

Es ist heikel, in den Seelen der Toten zu lesen: „Ich glaube nicht, dass der Künstler Horst Hellinger Bedenken gegen die Versetzung seiner „Schiffsbleche“ vom St. Georgskirchplatz in den Hafen gehabt hätte“, sagt Markus Schreiber, Leiter des Bezirksamts Mitte. „Diese 24 rostenden, verkotenden Bleche haben noch nie hierher gepasst.“

In der heutigen Bezirksversammlung will er über einen Antrag zur Versetzung der Skulptur abstimmen lassen, die bei den Anwohnern nie sehr beliebt war und erst seit Aufstellung der mittelalterlichen Kreuzigungsgruppe in Sichtweite an Interesse gewann. Unerwartete Bezüge ergeben sich jetzt; als Prozession lassen sich die mannshohen Bleche abgewrackter Schiffe lesen.

Abbau verschlingt immense Kosten

1987 war die Plastik des 1999 verstorbenen Hellinger auf dem Spadenteich installiert worden, der hierfür angeschrägt und mit Bordsteinen versehen wurde. Streitpunkt blieb die Pflege; triftiger Grund für einen Antrag auf Versetzung der Skulptur, der von Kulturbehörde und Kichengemeinde noch in der vergangenen Legislaturperiode gestellt wurde. Der Antrag wurde alsbald genehmigt. Von Respekt vor dem Künstler war derweil wenig die Rede – und so war es erst die Aufstellung der Kreuzigungsgruppe, die Bewegung brachte: „Wir wollen nicht, dass alte und neue Kunst gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Gunter Marwege, Pastor der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Georg. „Deshalb haben wir einen neuen Antrag auf Verbleib beider Werke gestellt. Da aber die Aufstellung der Kreuzigungsgruppe nur am Karfreitag möglich war, haben wir uns auf ein Provisorium geeinigt: Vorläufig können beide Werke bleiben. Später wird eine endgültige Entscheidung herbeigeführt. Und ich finde, sie wirken gut zusamnen.“ „Beide Skulpturen zeigen das Leiden des Menschen – der Kalvarienberg in allgemeiner Form, der Hellinger im Kontakt mit der konkreten Umwelt. Dieser Dialog ist ein Gewinn“, sagt auch Weihbischof Hans-Jochen Jaschke.

Deutungen, die Schreiber nicht teilt: „Die Hellinger-Skulptur ist im Hafen besser aufgehoben. Die Verkotung kommt hinzu.“ Die Kulturbehörde allerdings hat dem Bezirksamt inzwischen mitgeteilt, dass sie die Pflege übernehmen werde. Kultursenatorin Karin von Welck: „Es gibt gute Gründe, diese Plastik am Spadenteich zu lassen. Dadurch, dass der gesamte Platz vom Künstler gestaltet wurde, lassen sich Ort und Plastik nicht voneinander trennen. Auch Hellingers Absicht, mit der Plastik den Stadtteil St. Georg in die Hamburger Werftgeschichte einzubinden, lässt einen neuen Standort nicht zu.“

Wahre Worte, denen Schreiber mit Pragmatismus begegnet: „Wir haben hier einen Beschluss herbeizuführen, von dem ich nicht glaube, dass die Senatorin ihn rückgängig machen wird.“ Ihm ist bewusst, dass Entscheidungen der Bezirksversammlung für die Behörde nicht bindend sind. Auch urheberrechtlich ist das Prozedere nicht einwandfrei: „Dagegen, dass die Stadt das Kunstwerk komplett entfernt – es einschmilzt –, kann man nichts tun. Gegen die Versetzung aber würde ich klagen“, sagt Hellingers Nachlassverwalter Christoph Grau. Die im Übrigen immense Kosten verursachen würde: Zwischen 20.000 und 50.000 Euro, so die Schätzungen, verschlänge der Abbau der Skulptur. Denn die Bleche sind rund einen Meter tief in den Boden eingelassen und müssten samt Betonwanne herausgewuchtet werden. Den Bezirksamtsleiter schreckt dies nicht: „Dieses Werk steht der Platzgestaltung im Wege. In die neu zu gestaltende Häuserreihe hinter der Skulptur soll auch Gastronomie einziehen, für die eine Außenbestuhlung geplant ist. Dies wäre, bliebe die Plastik stehen, nur eingeschränkt möglich.“

Bleibt also die Frage, ob man Kunst dem Kommerz opfern will oder ob der politische Wille, das 1981 aufgelegte Programm „Kunst im öffentlichen Raum“ fortzuführen, groß genug ist.