: Endlich angekommen
Nach zwei ebenso vergeblichen wie tragischen Anläufen hat es der unbeugsame FSV Mainz 05doch noch geschafft: Der rheinland-pfälzische Kleinstklub kickt nächste Saison in der Bundesliga
AUS MAINZ TOBIAS SCHÄCHTER
Sektbegossen stand der Held des Tages in einer Ecke des Mainzer Bruchwegstadions und hatte so gar nichts von einem Triumphator. Die Tränen, die ihm Minuten zuvor noch wie ein Meer der Enttäuschung aus den traurigen Augen geströmt waren, standen wie ein Brandmal in seinem Gesicht. Nein, Michael Thurk hatte so gar nichts von einem Sieger. Der Mann, der soeben Mainz 05 mit zwei Toren beim 3:0 über Eintracht Trier zum allerersten Mal in die Fußballbundesliga schoss und dadurch eine ganze Stadt in einen noch nie da gewesenen Jubeltaumel stürzte, empfand nichts als eine tiefe Leere. Bedrängt von Journalisten rang das Häuflein Elend um Worte: „Heute“, fand er sie schließlich mit zittriger Stimme, „heute bringt mich nichts mehr zum Lachen.“
Michael Thurk irrte. Als er knapp zwei Stunden später den Balkon des Mainzer Staatstheaters betrat, schrien unten auf dem Theaterplatz 30.000 Menschen seinen Namen – und Michael Thurk lachte. Er lachte, weil er spürte, dass er mehr erreicht hatte, als den meisten Sportlern in ihrer Laufbahn je zu erreichen vergönnt ist. Der Mann, der in der nächsten Saison bei Energie Cottbus spielen wird, hatte mit seinen letzten Mainzer Toren dafür gesorgt, dass seine neue Mannschaft und er selbst nächste Saison in der zweiten Liga kicken müssen. In Mainz hat er sich damit unsterblich gemacht – und er steht seit Sonntag wie in Stein gemeißelt als ein Symbol für Integrität im Profisport. „Es war meine Pflicht, alles zu geben“, stotterte Thurk ergriffen und versprach: „Ich werde es nächstes Jahr halt wieder versuchen.“ Thurk ist ein wahrer Mainzer.
Zweimal in den Jahren zuvor war die Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp in letzter Sekunde am Aufstieg gescheitert und auf Platz vier gelandet. Ein Rang, der für Nullfünf Segen und Fluch zugleich bedeutete. Denn einerseits bescherte das knappe Scheitern den einstigen Graumäusen viele neue Fans und bundesweite Sympathien. Andererseits hing eben auch das Etikett der „Unaufsteigbaren“ an ihnen wie eine lästige Fliege. Andere zerbrechen an so viel Tragik. Aber Mainz machte unbeirrt und trotzig weiter. „Wir haben es probiert, haben es nicht geschafft, haben es wieder probiert und wieder nicht geschafft. Warum sollten wir es nicht wieder probieren?“, fragte Jürgen Klopp, der Obertrotzkopp, vor dieser Saison.
Am Sonntag nun saß er in den Sekunden vor dem Abpfiff wie apathisch auf der Bank. Dann stand er wie ferngesteuert auf, und erst als klar war, dass Konkurrent Aachen mit 0:1 in Karlsruhe verloren hatte und den Mainzern der Aufstieg nicht mehr zu nehmen war, spurtete Klopp wie eine Rakete über den Rasen. „Unglaublich“, raunte er nur in einer ersten Reaktion, und es ist typisch für den 36-Jährigen, dass er in der Stunde des Triumphes an die gebeutelten Gegner dachte: „Wenn einer mit Aachen, Cottbus und Oberhausen mitfühlen kann, dann wir. Aber wir haben bewiesen, dass man wiederkommen kann.“ Derweil die Fans sangen: „Mainz kommt, Mainz ist da, Mainz Nullfünf spielt Bundesliga!“
„Wir werden ein Farbtupfer werden“, wusste derweil Präsident Harald Strutz, der ein Lebenswerk vollendet sieht. Schon Strutz’ Vater war Präsident dieses Kleinstklubs. Nun wird in der Bundesliga jedes Spiel im neu ausgebauten Spektakulum mit 18.700 Menschen ausverkauft sein und die Euphorie keine Grenzen kennen. Keine Frage: Mainz 05 tut der Bundesliga gut – und unterbricht die inzüchtige und immer gleiche Folge der Auf- und Absteiger.
Sportlich werden es die Namenlosen schwer haben, der klamme Klub aber seiner Philosophie treu bleiben. „Wir werden keine Stars holen“, sagt Manager Christian Heidel, der neben Thurk wohl auch den von Bremen geliehenen Friedrich ziehen lassen muss. Viel Geld wird man auch in Zukunft nicht verdienen können in Rheinhessen. Auf 20 Millionen Euro wird der Etat verdoppelt, aber viel Geld der rund zehn Millionen vom TV in die Schuldentilgung gesteckt, der Ausbau des Stadions stürzte den Verein in finanzielle Nöte, die Lizenz für Liga zwei war in Gefahr. Jetzt ist man erstklassig und setzt gleich neue Maßstäbe: „Wir werden allen, die mit uns diesen langen Weg gegangen sind, ein seriöses Angebot machen“, so Heidel. Michael Thurk hingegen trägt das Vermächtnis der Kloppisten in die Lausitz. Trotzig sagte er: „Ich will nächstes Jahr mit Cottbus aufsteigen.“