: „Gläsern sind wir schon längst“
Die Musikindustrie kämpft ums Überleben und versucht mit einer Klagewelle, illegale Downloads aus dem Internet zu unterbinden. Gerd Gebhardt von der phonographischen Wirtschaft (IFPI) und Oliver Moldenhauer von Attac im Streitgespräch
MODERATION ARNO FRANK
taz: Herr Moldenhauer, Attac schaltet sich neuerdings auch in den Streit um illegale Downloads von Musikdateien aus dem Internet ein. Was hat denn, bitte schön, das Recht eines kolumbianischen Kaffeebauern auf gerechte Entlohnung mit dem Urheberrecht auf geistiges Eigentum zu tun?
Oliver Moldenhauer: Wir sehen, dass die geistigen Monopolrechte überhand nehmen, dass sie in ganz vielen Bereichen ausgeweitet werden und wir damit eine zunehmende Privatisierung und Monopolisierung von Wissen haben, das eigentlich Eigentum der ganzen Menschheit sein sollte.
Was etwa für künstlich überteuerte Aids-Medikamente durchaus zutrifft. Sie, Herr Gebhardt, argumentieren, dass sie mit einem schützenswerten geistigen Produkt handeln.
Gerd Gebhardt: Ja, es ist ein nicht physisches Produkt, was unser Anliegen so schwierig zu vermitteln macht. Aber ein Aids-Präparat oder Ähnliches mit der Schöpfung eines Musikstückes zu vergleichen, das hinkt schon von vornherein.
Warum?
Gebhardt: Weil Musik weltweit frei zugänglich ist, in vielfältigster Form. Man muss bloß das Radio anmachen, man kann sich über das Internet Songs anhören, im Fernsehen läuft ständig Musik – sie ist überall frei verfügbar. Deshalb hat es in Verbindung mit einem Präparat X, das einem Patentrecht unterliegt, überhaupt nichts zu tun.
Auch die frei verfügbare Musik wird ja beispielsweise über die Gema korrekt vergütet.
Moldenhauer: Wir haben jetzt durch die neuen digitalen Medien die Möglichkeit, sehr viel besser und leichter auf Musik zuzugreifen, und das soll nun künstlich eingeschränkt werden – daher die Parallele zu andere Bereichen, wo Wissen künstlich eingeschränkt wird, sei es die Verbreitung von Saatgut, seien es Medikamente, seien es Patente. Wir brauchen alternative Vergütungssysteme.
Was ist schlecht an den bisherigen, klassischen Systemen, wo ist die Ungerechtigkeit?
Moldenhauer: Wir erleben gegenwärtig eine Kriminalisierung von hunderttausenden, die diese Tauschbörsen nutzen – die werden jetzt alle verklagt. Wie wollen sie das unterbinden ohne die totale Überwachung der Computernutzer? Das schaffen sie sowieso nicht, auch wenn sie jetzt anfangen, Einzelne zu verklagen!
Gebhardt: Wir kriminalisieren überhaupt niemanden. Wenn sich jemand im Netz illegal verhält, dann kriminalisiert er sich selbst. Nicht weil wir’s erfunden haben, sondern weil das rechtlich so definiert ist …
Moldenhauer: Dieses Recht ist doch erst unter dem Druck der Industrie so entstanden.
Gebhardt: Wenn sich jemand strafbar macht, ist dann derjenige der Kriminelle, der darauf hinweist? Das kann doch nicht wahr sein!
Kopiert wurde ja immer schon, abgegolten mit einer Abgabe etwa auf die Geräte und die Musikkassette …
Gebhardt: Digitale Vervielfältigung hat nichts mehr mit einer einfachen Kopie zu tun, das ist ein Klon, das ist ein neues Master, das ist ein neues Originalprodukt, was da hergestellt wird. Bei der alten Form der Vervielfältigung haben wir etwa 85 Augen zugedrückt und gesagt: „Okay, wenn man von einer LP oder CD Musik auf eine Kassette zieht, dann ist es nur eine schlechte Kopie.“ Heute haben wir eine digitale Vervielfältigung, die ist wie ein Original. Hier wird der Künstler geschädigt – und all die, die daran beteiligt sind, die das finanziert haben, damit das überhaupt auf den Markt kommt und so nachgefragt wird, dass man es überhaupt kopieren will.
Das ist ja nicht neu.
Gebhardt: Nein, aber früher war’s analog, heute ist es digital. Das hat mit einer technischen Geschichte zu tun, die wir nicht aufhalten konnten und wollten. Ich brauche nur noch ein einziges Exemplar und kann die Welt beliefern.
Moldenhauer: Sie haben doch nicht die Augen zugedrückt beim analogen Kopieren, sondern der Gesetzgeber hat vorgeschrieben, dass die Leute das Recht auf eine Privatkopie haben!
Gebhardt: Nein, nein, nein!
Moldenhauer: Doch!
Gebhardt: Nein, es gibt kein Recht auf eine Privatkopie, es gibt eine so genannte Schranke auf eine Privatkopie, das ist etwas anderes: Es gibt die Möglichkeit, dass man eine machen kann. Es gibt aber weder ein Recht noch einen Anspruch! Eine private Kopie ist zwar zulässig, aber es gibt keinen Anspruch darauf.
Moldenhauer: Im Gesetz steht, dass Privatkopien zulässig sind, völlig unabhängig davon, was die Musikindustrie davon hält. Aber es ist legal, eine Privatkopie zu machen, egal was Sie davon halten.
Gebhardt: Attac versteht sich ja als politische Organisation, um die Übel dieser Welt aufzugreifen, richtig? Die Übel dieser Welt sind für uns diese Kopien. Für Sie nicht. Und wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, wollen Sie uns eigentlich nur helfen, wie wir wieder Geld verdienen, das finde ich toll, da sind wir auf einer Linie. Ob das aber eine Pauschalabgabe ist oder eine Einzelvergütung, das ist dann Wurscht, oder?
Moldenhauer: Nein.
Gebhardt: Wieso?
Moldenhauer: Einzelvergütung heißt massive Einschränkung des Zugangs und Kontrolle der UserInnen. Technisch möglich ist breiter Musikzugang für alle. Aber soll das verboten werden?
Gebhardt: Warum wollen Sie in unseren Geschäftsablauf eingreifen? Warum dürfen wir nicht auch unsere eigenen Fehler machen oder eben das, was wir herstellen, zu unseren Kunden bringen, wie wir es für richtig halten? Wer will das vorschreiben, wie das zu passieren hat?
Moldenhauer: Wir wollen gar nichts vorschreiben. Sie können gerne weiterhin Musik auf CDs pressen und unter die Leute bringen. Aber es geht darum, dass den hunderttausenden, die Tauschbörsen nutzen, dies verboten werden soll.
Gebhardt: Wissen Sie, es gibt ein enormes Unrechtsbewusstsein in Deutschland. Laut einer Studie von IFPI London wissen 74 Prozent der Tauschbörsennutzer, dass es illegal ist, was sie da treiben. Warum machen sie es trotzdem? Weil sie wissen, dass sie nicht erwischt werden.
Moldenhauer: Aber die Leute wissen eben auch nicht, was sie alles dürfen: Es ist natürlich völlig legal, dass man wenn ich eine CD für Freunde kopiere oder ich digitale Musikstücke rippe und auf den iPod meiner Freundin übertrage. Es gibt ja Rechte der User und Userinnen. Es bleibt aber die Frage, ob die Gesetze nicht verbessert werden könnten. Alt sind sie ja noch nicht.
Was wäre die Alternative?
Moldenhauer: Unser Vorschlag: Das digitale Tauschen von Musik im Internet wird legalisiert. Musik darf weiter in Dateiformaten verbreitet werden, die beliebig oft auf beliebigen Rechnern abgespielt werden können. Die sinkenden Einnahmen von Musikern und Industrie wollen wir durch ein alternatives Vergütungssystem ausgleichen. Nach diesem Modell sollen die Künstler danach vergütet werden, wie häufig ihre Stücke gespielt und heruntergeladen werden. Ermittelt wird aus den Downloadzahlen der Tauschbörsen und durch Beobachtung einer Stichprobe von Userinnen. Es wäre ein freierer Musikmarkt, und viele kleine Bands könnten leichter ihre Musik unters Volk bringen und dafür vergütet werden, auch wenn die Plattenlabels denen keine Chance geben.
Das ist ja nun eine Legende. Sogar ein Prince hat zehn Jahre lang versucht, seine Musik ausschließlich über das Netz zu vertreiben und ist damit gescheitert …
Moldenhauer: … aber im heutigen System, mit Pauschalgebühren, wäre das ganz anders.
Gebhardt: Ihre sehr idealistische Betrachtungsweise, Herr Moldenhauer, dass man auch jungen Künstlern die Chance gibt, im Netz sich zu entfalten, ist natürlich Unsinn. Woher soll denn der Kunde wissen, dass es diese Künstler überhaupt gibt? Von daher ist Prince ein sehr gutes Beispiel, der nichts mehr verkauft hat, obwohl er einen großen Namen hatte …
Hatte er ja auch nicht mehr …
Gebhardt: Wie bitte?
Mal nannte er sich TAFKAP, mal musste er ein Symbol verwenden, weil er im Rechtsstreit mit seiner Plattenfirma sprich: der Industrie lag.
Gebhardt: Aber kaum ist er in die Arme einer Major Company zurückgekehrt, ist er wieder enorm erfolgreich. So erfolgreich, dass er garantiert wieder kräftig raubkopiert wird. Es ist doch so: Alle Rechteinhaber bekommen dafür laut Vergütungspauschale pro CD-R sieben Cent. Sieben Cent! Pro CD-R! Und da passen im MP3-Format zwanzig Alben drauf. Das müsste sich im Minimum auf 2,50 Euro erhöhen, damit wir rauskriegen, was wir verlieren. Wie wollen Sie das kontrollieren? Soll eine Peer-To-Peer-Abteilung Daten, wer wie oft gespielt oder abgerufen wird, an irgendwen abgeben? An wen denn?
Moldenhauer: Unser Modell geht davon aus, dass man es so machen würde wie mit den Einschaltquoten beim Fernsehen. Man nimmt also ein Sample von Leuten, schaut, was die so hören, und rechnet das dann hoch …
Einschaltquoten sind aber schon beim Fernsehen eher fragwürdig.
Gebhardt: Das Problem ist doch, dass immer Theoretiker über Praktiker herrschen wollen. Sie haben sicher noch nie bei einer Plattenfirma gearbeitet und wollen das nicht, die wissen nicht, wie Verträge ausgehandelt und eingehalten werden. Wir fragen jeden Künstler, bevor wir seine Musik ins Netz stellen, ob er das will oder nicht. In vielen Fällen gibt es auch Bands, die das nicht wollen …
… wie bei Apples iPod etwa Radiohead, die nur ganze Alben zur Verfügung stellen wollen, nicht nur einzelne Stücke.
Gebhardt: Sie wollen das Recht des Künstlers auf die freie Vermarktung seiner Musik durch ein Pauschalsystem einfach nivellieren? Fragen Sie doch mal die Künstler im Sozialismus, die auch nur eine Pauschale bekommen haben, wie glücklich sie damit waren!
Moldenhauer: Pauschalisiert werden soll nur das Eintreiben der Musikvergütung für die KünstlerInnen, etwa über den Internet-Anschluss, nicht die Verteilung, die sich nach der Verbreitung der Musik richten soll. Der Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“ würde nach wie vor mehr Geld bekommen als die experimentelle Kleinband aus Kreuzberg, auch wenn man das vielleicht bedauern mag.
Warum soll ich das zahlen, wenn ich weiterhin lieber reguläre Tonträger kaufe? Sie fürchten den gläsernen User, die Phono-Industrie fordert den ehrlichen Kunden …
Moldenhauer: Ich glaube, wir erleben derzeit ein Wettrüsten – was technische Einschränkungen betrifft, was rechtliche Richtlinien betrifft. Wir haben in Zukunft entweder eine enorme Einschränkung der Bürgerrechte mit Digital-Rights-Management und massenhafter Kriminalisierung oder wir kommen dahin, dass bald der Großteil der Musik frei über das Internet vertrieben und getauscht wird. Und die Industrie wird dieses Wettrüsten ohnehin verlieren.
Gebhardt: Ich glaube nicht, dass das morgen schon vorbei ist, sondern glaube, dass es die nächsten zehn Jahre die CD sehr wohl noch auf einem sehr hohen Niveau geben wird. Wir müssen natürlich das Netz als Vertriebsweg nutzen, und zwar in unserem Sinne. Da werden doch Ihre Bürgerrechte nicht beschnitten! Wenn einer 98 Autos stiehlt und ich kriege die nicht wieder, dann sage ich doch auch nicht: „Okay, gib mir 50 Euro, dann ist das pauschal abgegolten“, und die Autos sind trotzdem weg. Das funktioniert nicht.
Moldenhauer: Da gibt es eben einen wichtigen Unterschied: Wenn ein Auto geklaut wird, fehlt es dem Eigentümer, wenn ich dagegen Musik kopiere, fehlt dieses Musikstück nirgendwo, ist also der Nutzen für die Gesellschaft insgesamt gestiegen. Daher muss hier auch eine ganz andere Logik gelten. Was die Verteilungsprobleme der Pauschalvergütung angeht: Perfekte Gerechtigkeit kann es es sowieso nicht geben.
Gebhardt: Na, da sollten Sie aber schon für eintreten. Ich tue das.
Moldenhauer: Aber ich will nicht, was die Bürgerechte anbelangt, dass mein Computer durch Ihre Interessen exterritoriales Gebiet wird. Dann haben wir wirklich den gläsernen User.
Gebhardt: Ach, gläsern sind wir doch alle schon längst.