: Die Polizei wird pampig
Beamte werden handgreiflich und verhindern so, dass eine Flüchtlingsinitiative an der Demo von Behindertengruppen vor der Bürgerschaft teilnehmen kann. Dabei hätte die unangemeldete Unterstützung die Protestierenden nicht gestört
taz ■ Die Vertreter der Behindertenverbände versuchten noch zu schlichten: „Wir haben nichts dagegen, wenn diese Gruppe hier mit uns protestiert“, rief Demo-Organisator Uwe Boysen ins Mikrofon. Ein anderer Demonstrant versuchte, die acht Polizisten im persönlichen Gespräch zu überzeugen: „Lassen Sie die doch ihr Transparent hochhalten.“ – „Sie haben hier gar nichts zu entscheiden“, entgegnete ein Beamter. Begleitet von Flüchtlingen hatten 20 Menschenrechtler versucht, sich dem Protest von rund 250 Behinderten vor der Bürgerschaft anzuschließen – in den Augen der Polizei eine eigene, nicht angemeldete Demonstration.
Als die Flüchtlingsvertreter darauf bestanden, die Transparente auszurollen, kam es zu Handgreiflichkeiten. Ein Afrikaner, der seine Ausweispapiere nicht vorzeigen wollte, wurde von vier Beamten gepackt und in Richtung der Streifenwagen gezerrt – zur „Identitätsfeststellung“, wie es im Polizeideutsch heißt. Erst nach lautstarkem Protest der Demonstranten ließen die Beamten von dem Flüchtling ab.
„Es ist schon bemerkenswert, dass es hier Gruppen gibt, die für sich eigene Regeln aufstellen wollen“, kommentierte der Sprecher der Innenbehörde, Markus Beyer, den Vorfall. Für die Polizei sei offenkundig gewesen, dass die Gruppen thematisch nicht zueinander gehört hätten.
Der Sprecher der Flüchtlingsgruppe, Markus Saxinger, sieht das natürlich anders: „Es ging um soziale Ausgrenzung. Davon sind die Flüchtlinge genauso betroffen wie die Behinderten.“ Auch Wilhelm Winkelmeier von der Behinderteninitiative „Selbstbestimmt Leben“ kann das Vorgehen der Polizei nicht nachvollziehen: „Die Gruppe liegt uns doch nahe. Es hätte uns überhaupt nicht gestört, wenn sie mitdemonstriert hätten. Wir haben versucht, das den Beamten zu erklären.“ Die Polizisten hätten aber keinen Dialog zugelassen, versichert Winkelmeier.
Stattdessen nahmen die Beamten die Personalien von mindestens vier Beteiligten auf. Einer weiteren Gruppe von fünf Menschen droht ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs. Sie hatten auf der Zuschauertribüne des Plenarsaals ein Spruchband mit der Aufschrift „Schluss mit der Ausgrenz- und Abschiebepolitik, Herr Innensenator“ entfaltet.
Bevor es auf dem Marktplatz zum Handgemenge kam, hatten die Behindertenverbände auf ihre Lage aufmerksam gemacht. Die Redner erinnerten daran, dass sie den Kürzungen im Jahr 2001 nur zugestimmt hätten, weil man ihnen dafür zumindest den Erhalt der übrig gebliebenen Leistungen versprochen habe. Nun würden die Zuwendungen trotzdem gekürzt oder ganz abgeschafft. „Das ist Wortbruch“, sagte Wilhelm Winkelmeier. Dieselben Politiker, die nach dem 2001 geschlossenen Kompromiss die Solidarität der Behindertengruppen gelobt hätten, strichen ihnen heute die Gelder.
Dieter Stegmann, Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“, betonte, dass das Grundgesetz behinderte Menschen unter besonderen Schutz stelle. „Die Pläne der Koalition zu den Kürzungen bei der Eingliederungshilfe sind Verfassungsbruch.“ Auch die Menschenrechtler sprachen auf ihren Flugblättern von einer „menschenverachtenden Kaputtspar-Politik“. Markus Saxinger: „Es ist wichtig, dass die von den Kürzungen betroffenen Gruppen jetzt zusammenhalten.“ Dazu sollten eigentlich auch die Polizisten gehören, die mit einer Demonstration an gleicher Stelle vor zwei Wochen zumindest einen Teilerfolg erreichten: von der Schließung bedrohte Reviere bleiben erhalten. Christian Ehlers/Steffen Hudemann