piwik no script img

Archiv-Artikel

Spätheimkehrer von Kanzler begrüßt

Als wär’s ein Gnadenbild: Albrecht Dürers „Johannes der Täufer“ kehrt nach 61 Jahren Abwesenheit in die Bremer Kunsthalle zurück – so etwas ist Balsam auf Politiker-Wunden. Vorausgesetzt, für sie ist ein Stühlchen reserviert

Aus BremenBenno Schirrmeister

Zurückgekehrt, sagen sie in Bremen, liebevoller sogar: heimgekehrt, wenn sie über das Bild sprechen. Und es herrscht helle Aufregung: Der Kanzler ist gekommen und sogar der estnische Ministerpräsident Juhan Parts, der Senatspräsident plus Stellvertreter dürfen ohnehin nicht fehlen. Und die Kulturstaatsrätin sucht mehrfach die Reihen ab, ob nicht auch für sie ein Stühlchen in der Kunsthalle reserviert ist, aber Fehlanzeige, und nimmt dann schließlich doch in den hinteren Reihen Platz.

Und das alles, obwohl es nicht einmal vollendet ist, das Bild, und auch nicht besonders groß: 59,2 mal 21,7 Zentimeter bemaltes Lindenholz, na, das ist wirklich nicht die Welt. Trotzdem drängeln sich die Würdenträger, wenn es gilt, das gerahmte Holztäfelchen von der Staffelei hinüberzuheben an einen vorbereiteten Haken: Da fasst jeder gerne mit an, das hat schon etwas von einem Gnadenbilde, dessen Berührung vor Vorwürfen, Ohrfeigen und Krankheiten schützt.

Mit ungewaschenem Haar

Das mag auch daran liegen, dass das Bild von AD stammt, dem Göttlichen, kein Bremer übrigens, sondern Nürnberger ungarischer Herkunft und auch schon lange tot: Johannes der Täufer wird das vor ziemlich exakt 500 Jahren und vermutlich zur privaten Andacht verfertigte, aber dann nicht vollendete Gemälde genannt. Es zeigt einen spärlich gewandeten, üppig bebarteten älteren Herrn, der mit zerfurchter Stirn, drahtigem Körper und ungewaschenen Haaren in grünlicher Landschaft posiert: In der Linken hält der Eremit ein schweres rotes Buch, mit rechts weist er auf ein weißes Lamm.

Aber zurück zu Kanzler und Konsorten, die alle Anzug tragen, und zurück in die Bremer Kunsthalle, der das Gemälde seit über 150 Jahren gehört und in die Johannes der Täufer nach 61 Jahren Abwesenheit heimgekehrt ist: Er gehörte nämlich zu den rund 5.000 Kunstgegenständen, die 1943 aus Angst vor Bombenangriffen ausgelagert worden waren.

Kanzlerwetter in Bremen

Es gebe unangenehmere Termine, das hatte der Bundeskanzler gesagt. Und man mochte es gerne glauben. Kritische Fragen muss er bei der Präsentation nicht einmal nicht beantworten – in diesem heiligen Augenblicke verbieten sie sich von selbst. Und gar die von der Jugendorganisation einer Oppositionspartei angekündigte „Aktion“ – um 19 Uhr hätten aufgebrachte Junkonservative den Regierungs-Chef mit der Frage, wo denn Bremens Kohle sei, empfangen sollen – fällt witterungsbedingt so klein aus, das man meinen könnte, sie sei gar nicht dagewesen.

Die Auslagerung der Kunstwerke war im Grunde sinnvoll. Sie erfolgte allerdings, wie man heute weiß, in die falsche Richtung: Man brachte die 1.715 Zeichnungen, 50 Gemälde und etwa 3.000 Blatt Druckgrafik nach Karnzow bei Kyritz – in den Keller eines brandenburgischen Herrenhauses.

Heute ist das ein schick renoviertes Vier-Sterne-Hotel mit Seeblick. Und man kann Koch- und sogar Zeichenkurse dort buchen. 1945 aber war Schloss Karnzow Offiziers-Quartier der sowjetischen Streitkräfte. Ein Problem: Anders als in den drei westlichen Zonen, so die Beutekunst-Expertin Floriane Azoulay, blieben die Rückgaben „in der sowjetischen Besatzungszone auf wenige Ausnahmen beschränkt“.

Nicht dazu gehörten jedenfalls die Bremer Kunstschätze. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks tauchen ab und an Blätter aus dem Konvolut auf: mitunter auf dem blühenden illegalen Kunstmarkt, mitunter als Erbstücke; in Aserbaidschan etwa, in der Ukraine oder in Tokio. Das führt dann zur mehr oder minder glanzvollen Rückkehr.

So hatte im Falle des Dürerschen Johannes der estnische Zoll eine Hehlerin an der Grenze gestoppt. Im Kadriorg Museum zu Tallinn wurde die Herkunft geklärt – und die Rückgabe beschlossen. Rechtlich erfolgte sie im vergangenen November: Die Präsentation im Museum ist ein Schaulaufen für die Politiker. „Ein Dankeschön“, nennt es Herzogenrath.

Ein Gruß nach Moskau

Die Rückgabe, das sei für Estland eine Selbstverständlichkeit gewesen, so Ministerpräsident Juhan Parts in Bremen: „Wir sind ein Rechtsstaat – und wir halten uns an die entsprechenden Grundsätze.“ Ein Satz, den man leicht als Seitenhieb gegen den russischen Nachbarn deuten kann. Zumal in Bremen. Denn ein großer Teil der ausgelagerten Bestände lässt sich sehr genau lokalisieren: 362 Grafiken und 2 Gemälde hatte der Offizier und Architekturhistoriker Victor Baldin gesichert – mit dem Wunsch, sie nach Norddeutschland zurückzuschicken. Baldin starb 1997. Doch noch immer ist sein Vorhaben nicht verwirklicht. Zwar hatte sich Kulturminister Michail Schwydkoi die Rückgabe aufs Banner geschrieben. Doch die Duma ließ ihn ins offene Messer laufen. Sie blockierte den fest vereinbarten Akt.

Warte nur Baldin

Mittlerweile ist Schwydkoi nur noch Abteilungsleiter im Ministerium. Sein Nachfolger Alexander Sokolow hat bereits angekündigt, das Problem der Beutekunst neu aufzurollen – wo nötig auch mit neuen Gesetzen. Das russische Beutekunstgesetz hatte 1997 alle staatlich verschleppten Kulturgüter zum legalen Besitz erklärt, nicht jedoch die privaten. Will Sokolow da nachlegen? Gleichviel – bereits die Ankündigung ist eine außenpolitische Schlappe für die Bundesregierung: Kulturstaatsministerin Christina Weiss ließ daraufhin ihren Ärger verlautbaren.

In Bremen gibt sich der Dürer beglänzte Kanzler aufgeräumt: „Bei bestimmten Sachen“, sagt er jovial, müsse man „halt den einen oder anderen Jahrestag verstreichen lassen“, sagt er. Sybillinisch: Welchen Jahrestag er damit meint, verrät er nicht. Seine Gründe lassen sich ahnen.