: Der ganze Bundestag ein Wartesaal
Kanzler spielt den Staatsmann und wirbt um Zustimmung der Opposition für Steuersenkung. Merkel gibt zu, bisher nur „gewartet“ zu haben. Nun wartet die Regierung – auf Vorschläge der Union. Westerwelle lobt Schröders Inszenierungskunst
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
Angela Merkel kann einem fast ein bisschen Leid tun. Da hat sie gerade eine ordentliche Rede im Bundestag gehalten, auf die Versäumnisse der Regierung hingewiesen und den Kanzler attackiert, wie es sich für eine Oppositionsführerin gehört. Doch bewundert wird sie dafür nicht. Im Gegenteil: Merkel bekommt nur Pflichtbeifall von ihren Leuten. Bewundert wird in der Union dagegen der sozialdemokratische Kanzler. Es sei schon „genial“, begeistert sich ein Abgeordneter der CDU, wie Gerhard Schröder zurzeit taktiere, wie er es geschafft habe, diese Woche zu seinen Gunsten hinzudrehen.
Seit dem Steuersenkungsbeschluss bei der idyllischen Kabinettsklausur in Brandenburg hat Schröder Oberwasser. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle, der sich damit auskennt, erkannte die gelungene Inszenierung an. „Sie machen eine Show, die ist unvergleichlich“, attestierte er dem Kanzler gestern. „Dagegen ist George Bush auf einem Flugzeugträger ein armes Märchen.“
Apropos Märchen: Um von seinem Auftritt am Nachmittag im „Lügenausschuss“ abzulenken, gab Schröder am Vormittag schnell noch eine „Regierungserklärung“ ab und spielte seine Lieblingsrolle: den ums ganze Volk besorgten Staatsmann. „Wir suchen die konstruktive Zusammenarbeit mit der Mehrheit im Bundesrat“, bot er der Union an. Die Bevölkerung erwarte gemeinsames Handeln der Parteien, „weil es um unser Land geht“. Dies gelte für das Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 auf 2004, aber auch für weitere Vorhaben wie in der Gesundheitspolitik. „Nur Neinsagen geht nicht mehr“, so Schröder. Die Union solle selbst Vorschläge machen.
Merkel wirkt dagegen hilflos – und manchmal unfreiwillig komisch. „Wir haben hier gesessen und gewartet“, sagt sie zu den ausbleibenden Reformen der Regierung. Passiver kann man die Rolle der Opposition nicht interpretieren. Jetzt ist zumindest ein Regierungsbeschluss da, ein sehr populärer noch dazu – und die Union weiß nicht, wie sie reagieren soll. Als Merkel sagt, es gebe dazu eine „ganz klare Beschlusslage in der Fraktion“, erntet sie höhnisches Gelächter. Alle wissen: Die Haltung der Union zum Vorziehen der Steuerreform ist alles andere als klar. Merkel hatte Anfang der Woche zwar Gesprächsbereitschaft gegenüber der Regierung signalisiert, aber ihr eigener Fraktionsvize Friedrich Merz und Hessens Ministerpräsident Roland Koch denken gar nicht daran, dem Kurs der Chefin zu folgen. Was aber auch nicht leicht ist: Denn welchen Kurs Merkel wirklich einschlagen möchte, blieb auch gestern unklar. Das mit dem Angebot an die Regierung sei jedenfalls missverstanden worden, erklärte Merkel, die Union habe Schröder nicht um Gespräche „außerhalb der Ordnung“ gebeten. Von Klüngelrunden in der Sommerpause will sie nichts wissen. Die Regierung solle erst einmal im Bundestag konkrete Zahlen vorlegen, erst einmal von sich aus erklären, wie sie die Steuerreform finanzieren will. „Wann immer Sie wollen“, sei sie dann auch gesprächsbereit, sagt Merkel zu Schröder, „aber Sie müssen vorher Vorschläge vorlegen.“
Formal gesehen, hat Merkel damit Recht. Doch solange die Union mit ihrem Streit die Medien beschäftigt, kann sich Rot-Grün weiter vorm Regieren drücken. Ob SPD-Fraktionschef Franz Müntefering oder die Grüne Krista Sager – sie alle sprachen vage von „Subventionsabbau“ als Gegenfinanzierung der Steuersenkung. Wen es aber treffen soll, verrieten sie ebenso wenig wie die Union. Und so wird es wohl noch lange hin und her gehen. Warum, erklärte Schröder in einem Anflug von Ehrlichkeit so: „Subventionsabbau ist ein Ziel, das alle gut finden – außer, es betrifft sie selber.“