Ein Treppenhaus für Fische mit Frühlingsgefühlen

Im Wasserbaulabor der Fachhochschule Bochum experimentieren Bauingenieure mit winzigen Bauwerken. Sie sollen helfen, Wanderfische über Talsperren zu bringen. Durch die bisher unüberwindlichen Wasserbauten sind viele Fischarten in den letzten 50 Jahren europaweit ausgestorben

Wie in einem Parkhaus kurven die Fische von Stufe zu Stufe bis zur Spitze des Fischpasses. Dank strengerer Umweltrichtlinien der EU könnte das Modell zum Exportschlager werden

BOCHUM taz ■ Sich einmal wie Gulliver bei den Liliputanern fühlen: In einer äußerlich unscheinbaren Halle hinter dem Hauptgebäude der Fachhochschule Bochum wird der Traum wahr. Hier entstehen riesige Modelle von Talsperren oder Flusslandschaften, detailgetreu errichtet mit Brücken, Straßen, Häusern und Vegetation.

Allerdings ist das Ganze keine Spielerei für größenwahnsinnige Modellbauer. Im so genannten Wasserbaulabor der FH Bochum wird seriöse Forschung betrieben. Gleichzeitig lernen die Studenten aus dem Fachbereich Bauingenieurwesen hier praxisnah die „Geheimnisse“ der Hydromechanik und des Wasserbaus kennen. Mit einer zur Zeit noch in Entwicklung befindlichen „Treppe für Fische“ erfreut das Wasserbaulabor der FH Umweltschützer ebenso wie Betreiber von Talsperren und Wasserkraftwerken. Die an der FH entwickelte Fischtreppe hat zudem ein gutes Vermarktungspotenzial in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Schließlich müssen durch die im Dezember 2000 in Kraft getretene EU-Wasserrahmen-Richtlinie in den nächsten 15 Jahren alle Gewässer in Europa in einen „ökologisch guten Zustand“ gebracht werden.

Bei vielen Flüssen, die von Talsperren aufgestaut werden, ist das bisher nicht der Fall. Talsperren speichern und regulieren Wasser, erfüllen somit wichtige Funktionen. Allerdings versperren sie auch paarungswilligen Fischen den Weg stromaufwärts ins Flussbett. Wenn den Fisch nämlich die „Frühlingsgefühle“ packen, zieht es ihn magisch stromaufwärts. Bis zur Laichzeit im Herbst legen Lachse, Forellen und andere Wanderfische mitunter erhebliche Distanzen sogar gegen starke Strömungen zurück. Wenn man sie denn lässt: Wehre und Talsperren versperren ihnen den Weg. Die Konsequenzen sind bekannt: Einige noch vor 50 Jahren häufig vorkommende Fischarten sind europaweit nahezu ausgestorben. Durch die unüberwindlichen Wasserbauten kommen nicht nur die Fische selbst nicht mehr an ihre Laichplätze, auch ihre Nahrung – kleine Krebse oder andere Wasserlebewesen – kommt nicht mehr dorthin.

Der Bochumer Helix-Turmfischpass ermöglicht es allen Wasserlebewesen, auch größere Höhenunterschiede zu überwinden. Man kann sich den Fischpass mit dem in ihm fließenden, sich schlängelnden Wasser als eine Art Treppenhaus vorstellen, das die Fische über eine Stauanlage oder Staumauer führt. Bisher hatten die Betreiber der Wasserbauwerke dem nicht viel entgegen zu setzen. Zwar gibt es an einigen kleineren Staumauern schon einfache „Umgehungsstraßen“ für die Kiemenatmer. Oft sind das aber nur angeschrägte Rampen oder eckige Konstruktionen, die scharfkantig, mit rauen Oberflächen versehen und von ihrer Strömungsführung für Fische völlig ungeeignet sind. Der Helix-Turmfischpass soll es Fischen sogar ermöglichen, eine 30 Meter hohe Staumauer zu „erklimmen“. Gleichmäßig fließt das Wasser in der Anlage von einer Rundung in die nächste. Wie in einem Parkhaus „kurven“ die Fische von Stufe zu Stufe bis zur Spitze des Turm-Fischpasses. Dabei nutzen sie die Hauptströmung im Beckenrandbereich. In der Mitte des Kreises ist es ruhig. Hier können die Tiere eine kleine Verschnaufpause einlegen. Oben angelangt, durchqueren die Schuppentiere dann einen Tunnel und haben auf der anderen Seite der Mauer die schwierigste Steigung hinter sich. Auf dem selben Weg könnte es jetzt auch bergab gehen. Zur Zeit steht im Wasserbaulabor der FH Bochum ein Modell für eine Staumauer im Maßstab 1:17,5. Dafür wurden jeweils auf der Wasser- und der Luftseite entsprechende Auf- und Abstiegstürme entwickelt. Ein Tunnelsystem durch die Staumauer verbindet sie miteinander. Bei den am Modell durchgeführten Messungen kommt es zunächst darauf an, natürlich wechselnde Oberwasserstände für die Wanderfische zu simulieren und die Strömungsverhältnisse zu optimieren. Damit Lachs und Forelle den Eingang zum Turmfischpass finden, muss etwa das Einschwimmdelta so ausgebildet sein, dass die Lock-Strömung aus den untersten Becken sehr stark ist, auf jeden Fall stärker als die Strömung aus den Turbinen. Um das Verhalten der Fische so naturgetreu wie möglich zu erforschen, will man als nächstes eine Etage des Helix-Turm-Fischpasses im Maßstab 1:1 bauen und sie mit Wanderfischen besetzen. Auf nicht mehr als drei Millionen Euro schätzt Professor Bernhard Haber die Investitionen für die Nachrüstung einer Staustufe im Format der hessischen Eder-Talsperre. Pflicht wird die Installation solcher Anlagen aufgrund der erwähnten EU-Richtlinie ehedem bis 2015, in Ausnahmefällen bis spätestens 2027. Erreicht die Bochumer Entwicklung in der nächsten Zeit Serienreife, könnte sie sich auch zu einem erfolgreichen Export-Produkt mausern, da die EU-Gesetzgebung für alle der vielen Hundert Talsperren in ganz Europa gilt und auch in anderen Ländern der Welt der Umwelt- und Naturschutz größere Bedeutung bekommt.

HOLGER ELFES