Lieblingsstrände : Ritualisiert
Und dann nüscht wie raus nach Wannsee! Ob nun zurück in Conny Froboess’ forsche Fünfzigerjahre, ob in die legendären Zwanziger, deren Geist diese Anlage wie nur wenige andere Bauwerke Berlins verkörpert, oder noch einmal hinein in jene lauschigen Achtzigerjahre, in denen ich mir als bayrischer Emigrant die Stadt eroberte und Stammgast im Strandbad war. Der Ausflug zum Wannsee war immer Regression und Ritual zugleich. Schon der Gang vom S-Bahnhof ans Wasser, bewehrt mit Badelatschen und Bastmatte, geborgen im Pulk, trug Züge einer Wallfahrt: schwarze GIs mit obligatorischem Ghettoblaster, türkische Teenager, russische Matronen und aufgekratzte Spreeschwaben. Der Blick von den Terrassen über die bewaldete Flusslandschaft berauschte mich jedes Mal: Die Havel erschien mir hier als ein märkisches Pendant zum Bosporus: Drüben begann eine andere Welt. Irgendwie brachte dieser Ort es fertig, die deutsche Teilung vor Augen zu führen und zugleich vergessen zu machen.
1930 eröffnet, hatte das Strandbad sich von Anfang an als ein sozialer Geniestreich erwiesen, schon in der ersten Saison waren 1,3 Millionen Besucher gekommen. Barfuß über die Sandsteinplatten tappend, trat ich in Kontakt mit Berlins bester Zeit. Die stramme Horizontale der Bäderblocks, davor, wie eine kubistische Installation, das Durcheinander der Strandkörbe, dazwischen das Mosaik der Leiber. Menschliches Grillgut, im Sande vor sich hin brutzelnd. Es war nicht Ipanema, aber die hiesige Jugend zeigte sich recht gut gebaut, und das Strandleben tobte flotter und unbeschwerter als in der Langnese-Werbung.
Gestern war ich wieder einmal draußen. Der Eintrittspreis hat sich verdreifacht, aber sonst geht es nicht viel anders zu als früher. Die Mode, oder wohl besser Anti-Mode, ist noch cooler geworden. Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre es die Wiederkehr getupfter Sommerkleider. Die passen hier viel besser in die Landschaft. STEFAN SCHOMANN
Geöffnet von April bis September. Eintritt 4 €/ermäßigt 2,50 €. Zehnerkarte 36/22,50 €, Saisonkarte 144/90 €. Anfahrt: S-Bahn bis Nikolassee, 2,10 €