: „Jede Familie ist einzigartig“
Mediation erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Der erste Hamburger Mediationstag soll einen Überblick über die verschiedenen Anwendungsfelder bieten. Thema sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Qualifikationsstandards. Ein Gespräch mit der Mediatorin Ulrike Donat
ULRIKE DONAT, 52, ist Anwältin für Familienrecht in Hamburg und seit 1992 Mediatorin. Sie war 2008 Mitgründerin des Netzwerks Mediation Hamburg. FOTO: PRIVAT
INTERVIEW: FRIEDERIKE GRÄFF
taz: Frau Donat, warum wollten Sie als Anwältin zusätzlich noch Mediatorin sein?
Ulrike Donat: Ich hatte sehr viel mit Familiensachen zu tun und dort merkt man sehr schnell, dass die rein juristische Bewältigung eines Familienkonflikts nicht ausreichend ist. Sie ist nicht geeignet, um Themen wie Verletzungen, gebrochene Versprechen, Umgang mit neuen Partnern anzugehen. Das Gesetz gilt für den Mainstream, nicht für die Besonderheiten – jede Familie ist einzigartig.
Wie vermeiden Sie es, die Bereiche Anwalt- und Mediatorenschaft zu vermischen?
Ich bin da ganz strikt: Ich frage bei der ersten Anmeldung, ob Mediation gewünscht ist – dann müssen beide kommen – oder ob parteiliche Beratung. Wenn ich in parteiliche Beratung eingestiegen bin, dann begehe ich einen strafbaren Parteiverrat, wenn ich danach beide berate.
Wo raten Sie als Familienanwältin von Mediation ab?
Früher habe ich bei Gewalt abgeraten, das tue ich heute nicht mehr. Ich vermute, dass das mit der Erfahrung mit Konfliktlösungen zusammenhängt: Je länger man das macht, um so eher kann man sich schwierige Fälle zutrauen. Und Gewalt ist letztendlich eine Form von Sprachlosigkeit – wenn man dann wieder in die Sprache kommt, wirkt das Gewalt reduzierend.
Und wo raten Sie zu?
Eigentlich eignet sich alles. Und je mehr der Beziehungskonflikt, auch im Verborgenen, noch wirkt, um so geeigneter ist Mediation, denn die Juristerei bekommt nur die Fakten so richtig in den Griff. Gerade wenn Kinder beteiligt sind, ist es wesentlich, Beziehungen so zu ordnen, dass man längerfristig Frieden in der Familie hat.
Kritische Stimmen sagen, dass bei den Mediatoren neben der juristischen auch eine soziale Kompetenz notwendig sei. Wie wird die sicher gestellt?
Juristen lernen mehr im kommunikationswissenschaftlichen Bereich, auch mit praktischen Übungen, während Psychologen und Sozialarbeiter sich mehr mit Recht beschäftigen müssen. Beide lernen auch gemeinsam voneinander.
Für den Verbraucher sind die verschiedenen Ausbildungswege zum Mediator verwirrend. Ist das vielfach eingeforderte staatliche Zertifikat mittlerweile in Sicht?
Die Qualifikationsstandards hier in Deutschland sind nicht einheitlich und gesetzliche Anforderungen umstritten. Der Bundesverband Mediation und die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienmediation setzen 200 Stunden und eine kontinuierliche Fortbildung voraus, andere Ausbilder begnügen sich mit 50 Stunden. Aber natürlich spielt es für den Verbraucher auch eine Rolle, ob der Mediator oder die Mediatorin das Konfliktfeld gut kennen. Beim Baurecht ist ein Ingenieur möglicherweise besonders geeignet.
Das Feld ist nahezu unübersehbar geworden. Wirtschaftsmediation, interkulturelle Mediation, Familien-, Nachbarschaftsmediation …
Mediation ist ein Verfahren zur Konfliktlösung, bei dem streitenden Parteien mit Unterstützung einer dritten, unparteiischen Person nach einer gütlichen Lösung suchen. Es ist freiwillig und nicht öffentlich. Mediation wird bei Familien- und Arbeitsplatzproblemen, bei Schulkonflikten, aber auch in der Wirtschaft oder beim Täter-Opfer-Ausgleich angewandt. Die Zahl ist nicht auf zwei Konfliktparteien begrenzt. Bei der Mediation bestimmen alle Seiten gemeinsam den Verfahrensablauf. Der Mediator hat in dem Prozess keine Entscheidungs- oder Zwangsgewalt, die Parteien selbst erarbeiten gemeinsam eine Lösung für ihren Konflikt. Am Ende der Mediation wird die vereinbarte Lösung schriftlich festgehalten. Sollte bei einer Mediation keine Einigung gefunden werden, so kann immer noch anschließend ein Gerichtsverfahren eingeleitet werden. GRÄ
… und Schulmediation. Das ist einer der Gründe für uns, den Hamburger Mediationstag zu veranstalten: Wir wollen uns um Vernetzung bemühen. Dass sich so viele Arbeitsfelder entwickelt haben, ist erst einmal ein gutes Zeichen – das zeigt, dass Mediation in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Dahinter steht eine demokratische Kultur: jeder und jede spricht für sich, jeder und jede respektiert die Haltung des anderen.
Angesichts der wachsenden Begeisterung der Justiz für Mediationsverfahren fürchten manche, dass der Staat allein aus Kostengründen auch diejenigen zur Mediation schicken wird, die Recht suchen – und keinen Kompromiss.
Mediation ist keine Alternative zum Rechtsstaat, sondern ein „Und“. Da muss man genau schauen, wann Recht gesprochen werden muss, um einen Ausgangspunkt für eine Konfliktlösung zu finden. Das gilt für mich insbesondere im öffentlichen Bereich: Wenn ein Polizist übergriffig gegenüber einem Bürger war, dann muss erst der Missbrauch des Gewaltmonopols durch ein Urteil beendet werden.
Und wer trägt die Kosten für die gerichtlich empfohlene Mediation?
Gerichtliche Mediation durch Richter ist durch die Gerichtskosten abgedeckt, für außergerichtliche Mediation gibt es zur Zeit, anders als beispielsweise in Österreich, noch keinen Topf. Aber bei der ÖRA, der Öffentlichen Rechtsauskunft in Hamburg, bekommen Menschen, die wenig verdienen, Mediationsangebote nach Einkommen gestaffelt und in einigen Erziehungsberatungsstellen kostenlos.
Erster Hamburger Mediationstag: 22. Januar, 9.30 bis 18.15 Uhr, Handelskammer Hamburg