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Archiv-Artikel

„Ein kaum verhüllter diplomatischer Trick“

Die Hauptkritik am anglo-amerikanischen Resolutionsentwurf richtet sich gegen den Zeitplan und die unbeschränkten Kompetenzen der „multinationalen Streitmacht“

GENF taz ■ Der Zeitplan der USA und Großbritanniens für eine teilweise Machtübergabe an eine „souveräne“ Interimsregierung in Bagdad zum 30. Juni und die vorherige Absegnung dieses Vorgangs durch eine UNO-Resolution wird immer unrealistischer.

Zu zentralen Punkte des anglo-amerikanischen Entwurfs für eine neue Resolution haben China, Russland, Frankreich, Deutschland und andere Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates in der Nacht zum Donnerstag erhebliche Bedenken und Veränderungsforderungen angemeldet. Und die ohnehin schon komplizierten Bemühungen von US-Botschafter Robert Blackwill und des UNO-Sonderbeauftragten für Irak, Lakhtar Brahimi, um die Bildung einer Übergangsregierung in Bagdad wurden durch die Absage des schiitischen Nuklearwissenschaftlers Hussein al-Schahristani, dem von ihm auserkorenen Kandidaten für den Posten des Regierungsschefs, zusätzlich erschwert.

Die Hauptkritik am anglo-amerikanischen Resolutionsentwurf richtet sich gegen das darin vorgesehene zeitlich unbegrenzte Mandat und die unbeschränkten Kompetenzen der „multinationalen Streitmacht“ (MNS). Unter diesem neuen Namen wollen Washington und London ihre derzeit rund 145.000 Besatzungssoldaten auch nach der teilweisen Machtübergabe vom 30. Juni im Irak belassen.

China forderte, das Mandat für die MNS in der Resolution eindeutig auf Januar 2005 zu begrenzen. Das Mandat solle nur verlängert werden, wenn der Sicherheitsrat dies auf Anforderung der Interimsregierung in Bagdad ausdrücklich beschließt, heißt es in einem dreiseitigen Papier Chinas mit zahlreichen detaillierten Änderungsvorschlägen zum anglo-amerikanischen Entwurf. Dieser sieht hingegen lediglich eine „Überprüfung“ des MNS-Mandats durch den Sicherheitsrat vor – zwölf Monate nach Verabschiedung der Resolution oder auch schon früher auf Bitte einer zweiten Übergangsregierung (die durch ein bis zum 31. Januar zu wählendes Übergangsparlament bestimmt werden soll).

Diese Formulierung „Überprüfung“ sei ein „kaum verhüllter diplomatischer Trick“, kritisierten europäische UNO-Diplomaten in New York. Denn da die USA und Großbritannien im Sicherheitsrat über das Vetorecht verfügen, könnten sie eine Entscheidung über einen Abzug der Truppen jederzeit verhindern. „Die souveräne Regierung Iraks sollte das Recht haben, zu jeder Zeit das Mandat zu begrenzen oder um ein Ende des Mandats zu bitten, denn das ist das Recht einer souveränen Regierung“, erklärte der deutsche UNO-Botschafter Gunter Pleuger. Da Pleuger sich an anderer Stelle seiner Ausführungen auf eine „gewählte“ irakische Regierung bezog, blieb allerdings zunächst unklar, ob Deutschland dieses Recht bereits für die Interimsregierung ab 30. Juni fordert oder erst für die im Frühjahr 2005 installierte zweite Übergangsregierung.

Pleuger sowie seine Botschafterkollegen aus Peking, Paris, Moskau und anderen Ländern forderten ebenfalls, die Interimsregierung ab 30. Juni müsse ein klar geregeltes Mitsprache- und Entscheidungsrecht über Einsätze der „multinationalen Streitmacht“ erhalten. Zudem sei der Resolutionsentwurf vor seiner Verabschiedung mit den Mitgliedern der Interimsregierung zu diskutieren, die überdies vor dem Sicherheitsrat erscheinen sollten, bevor sie durch die UNO akzeptiert werden.

Als neue Kandidaten für das Amt der Regierungschefs werden inzwischen der derzeitige Erziehungsminister im provisorischen Regierungsrat in Bagdad, Alaudin al-Alwan, sowie das Ratsmitglied Ijad Allawi gehandelt. In der UNO wachsen allerdings die Zweifel, ob Brahimi wie angekündigt tatsächlich am Wochenende eine komplette Namensliste für die Regierungsmitglieder sowie für den Präsidenten und seine beiden Stellvertreter präsentieren kann.

Noch letzte Woche hatten Vertreter der Bush-Administration erklärt, die Regierungsbildung und die Abstimmung über eine neue Resolution würden noch vor den D-Day-Feierlichkeiten am 6. Juni erfolgen, zu denen Präsident Bush sich in der Normandie mit seinem französischen Amtskollegen Jacques Chirac, dem britischen Premierminister Tony Blair und Bundeskanzler Gerhard Schröder treffen wird. Dieses Kalkül wird mit großer Sicherheit nicht aufgehen. ANDREAS ZUMACH