: Revolution von rechts
Paul Krugman hat eine von innen kommende Kritik der US-amerikanischen Politik geschrieben. „Der große Ausverkauf“ ist eine intelligente Streitschrift gegen George W. Bush und regt zum Nachdenken über mögliche Schwächen liberaler Demokratien an
VON WARNFRIED DETTLING
Das vorliegende Buch basiert auf den Kolumnen, die Paul Krugman seit Januar 2000 regelmäßig in der New York Times veröffentlicht. Der Professor an der Princeton University genießt in der Fachwelt der Ökonomen schon lange einen guten Ruf. International und einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde er als „Journalist im Nebenberuf“, wie er sich selbst nicht ohne Ironie, aber voll Bitterkeit über die professionelle Journalistenzunft beschreibt. So ist er zu einer einzigartigen, fast solitären Institution der Kritik geworden.
Nicht nur in den USA pflegt ja bekanntlich das öffentliche Auge der Medien alles zu sehen – nur nicht sich selber. „Fast alle ‚politischen Kommentatoren‘ sitzen in Washington und bilden einen einzigen Klüngel. Ihr Bild wird von einem ‚Interpretationskonsens‘ bestimmt, der die Wahrnehmung unbemerkt filtert. Mich kann niemand unter Druck setzen. Ich bin nicht auf Insiderinformationen angewiesen, um derentwillen sich viele Journalisten krumm buckeln.“
Was ist warum schief gelaufen unter der Präsidentschaft von George Bush? „Die Krise ist primär hausgemacht“, und zwar durch das Versagen der Eliten in Politik und Wirtschaft, durch korrupte Manager, vor allem aber durch eine Politik, die auf radikale Steuersenkungen zugunsten der Reichen gesetzt und damit eine „schamlose Interessenpolitik“ betrieben habe. Die Analyse der wirtschaftlichen Fehlentwicklungen nach den guten Jahren unter Bill Clinton nimmt in dem Buch einen breiten Raum ein, sollte der Autor doch ursprünglich mit seinen Beiträgen das wirtschaftspolitische Profil der New York Times schärfer konturieren.
Was dem Buch aus europäischer Perspektive einen besonderen intellektuellen und politischen Reiz verleiht, ist die Beschreibung der gegenwärtigen US-amerikanischen Politik als einer „Revolution von rechts“. Das tut Krugman in ebenjenen Begriffen und Kategorien, mit denen der frühere US-Außenminister und Harvard-Professor Henry Kissinger einst in seiner Doktorarbeit die Französische Revolution erklärt hat.
Das war im Jahre 1957. Und es ging bei dem jungen Henry Kissinger um die Neuordnung Europas nach der Schlacht von Waterloo, um die Folgen der Französischen Revolution, um das Gleichgewicht der Großmächte im 19. Jahrhundert und die Erschütterungen durch eine „revolutionäre Kraft“ und das Geheimnis ihres Erfolgs. Was Kissinger im Rückblick auf das alte Europa und Krugman mit Blick auf das neue Amerika ebenso erschreckt wie fasziniert, sind Kraft, Konsequenz und Radikalität einer revolutionären Bewegung: „Sie bestreitet die Legitimität des bestehenden politischen Systems und will es rundweg abschaffen.“ Ein Geheimnis des Erfolgs, so Krugman, liege auch darin, dass viele zunächst gar nicht glauben könnten, was sich da vor ihren Augen abspielt.
So ist, trotz mancher Überzeichnungen, ein lesenswertes Buch entstanden, eine Kritik an der amerikanischen Politik, die von innen kommt. Sie macht aufmerksam auf eine widersprüchliche Entwicklung: Einerseits hat sich die Demokratie als abstrakte Norm in den meisten Teilen der Welt durchgesetzt, auch dort, wo sie bisher unbekannt war oder heute nicht viel mehr als Lippenbekenntnis ist.
Andererseits können, wie dieses Buch zeigt, klassische Demokratien in Gefahr kommen, von innen her zu korrodieren und die Orientierung zu verlieren, wenn die Eliten versagen, eine kritische Öffentlichkeit und andere „günstige“ Randbedingungen fehlen: „Losing Our Way in the New Century“, so lautet zutreffend der Untertitel der amerikanischen Originalausgabe.
Zudem liest sich die Geschichte über die Präsidentschaft von George W. Bush wie die Fallstudie einer Revolution von rechts. Eine entschlossene Minderheit hat sich, wie ordentliche Revolutionäre aller Zeiten, gegen jede gegenläufige Erfahrung durch bewaffnete Heilslehren immunisiert.
Krugmans Essay ist also lesenswert, auch wenn er viele Fragen offen lässt. Wo und wie repräsentiert diese „radikale politische Bewegung“, der er den Kampf angesagt hat, möglicherweise Traditionen des „guten alten demokratischen Amerika“? Wo und wie kompensiert eine konservative Revolution Ängste der Menschen in unsicheren Zeiten? Wo liegen die Entsprechungen zwischen dem Präsidenten und dem Mainstream-Amerika und wo die Chancen der Korrektur einer fehlgeleiteten Politik aus der Mitte einer liberalen Demokratie und einer offenen Gesellschaft? Oder sind die alten westlichen Demokratien ganz einfach störanfälliger geworden, auch von innen, nicht nur von außen? Das Buch regt jedenfalls an, weiter zu denken. Das ist nicht das schlechteste Kompliment, das man einem Autor machen kann.
Paul Krugman: „Der große Ausverkauf. Wie die Bush-Regierung Amerika ruiniert“. Aus dem Amerikanischen von Herbert Allgeier und Birgit Hofmann. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004, 272 Seiten, 21,90 Euro