Sonnendurchflutete Paare

Kennen Sie das Gefühl? Sie sind allein und überall begegnet Ihnen das pure Glück …

Alle schweben unentwegtim siebten, vierzehnten,einundzwanzigsten Himmel

Erinnern Sie sich daran, wann Ihnen das Phänomen zum ersten Mal begegnet ist? Es war Herbst, nicht wahr, Sie hatten gerade ein kulturwissenschaftliches Studium in Hildesheim begonnen, fanden die Stadt Scheiße und die Uni öde, und dann passierte auch noch das: Ihre damalige Freundin – wissen Sie’s noch? – betrügt Sie mit einem zwergwüchsigen Trompeter namens Reinhold. Und macht Schluss. Aus heiterem Himmel. Offiziell braucht sie natürlich ein wenig „Abstand“, ein bisschen Zeit für sich, Luft zum Atmen, Raum, sich zu entfalten … aber in Wahrheit will sie nur mit dem Blechbläser schnackseln. Und da sind Sie eben im Weg. Wissen Sie noch, wie Sie sich da gefühlt haben? Wie bitte? Sie haben sich gar nicht gefühlt? Weil Sie das gar nicht waren, damals in Hildesheim? Das war … – ich? Sind Sie sich da sicher? Aber gut, meinetwegen – letztlich ist das doch jedem schon mal passiert, oder? So oder so. Sehn Sie!

Also werden Sie auch wissen, wie das dann traditionell weitergeht: Sie werfen ein Brötchen, eine Salatgurke, eine ADAC-Motorwelt oder irgendetwas ähnlich Sinnloses nach dem Luder oder machen sich auf andere Weise lächerlich, dann drehen Sie sich um und gehen weg.

Und schon auf dem Weg nach Hause begegnet Ihnen das erste Pärchen. Ein glückliches, frisch verliebtes, Hand in Hand gehendes Pärchen. Ein kicherndes, glucksende Gleich-wenn-wir-Zuhause-sind-machen-wir-uns-nackig-Pärchen. Ein Pärchen, das alles hat: Sie lieben sich, sie begehren sich, sie sind atemberaubend gut aussehend, und wahrscheinlich werden sie am nächsten Wochenende im Lotto gewinnen, nein, er im Lotto, sie im Roulette. Und dann sind die beiden stinkereich und kaufen sich ein einen Jaguar, ein Wohnmobil, ein Haus im Süden und einen See in Schweden. Und die sieben gesunden, hochbegabten, athletischen Kinder, die sie in den nächsten zehn Jahren bekommen, eins nach dem anderen – plopp, plopp, plopp –, die kann man ihnen auch schon ansehen. Ja, genau so eine Art von Pärchen ist das!

Und sie lächelt Ihnen im Vorbeigehen mitleidig zu. Sie versuchen es zu ignorieren, aber selbst wenn es Ihnen in diesem Moment gelingt, werden Sie in den nächsten Wochen tausend anderen ähnlich seligen Pärchen begegnen. Sie sind überall. Überall nur Duos, Duette, das doppelte Glück. In Kneipen, Restaurants und Kinos, und alle verstehen sich wunderbar. Auf dem Fahrradweg sieht man nur noch Tandems, und im Süßwarenregal gibt’s nur noch Twix. Und man selbst wird von Tag zu Tag einsamer und solistischer. Eine traurige Primzahl. Nur durch eins und sich selbst teilbar …

Und irgendwann beginnt man miesepetrig zu lauern, wartet darauf, dass sich eins dieser sonnendurchfluteten Pärchen mal streitet und das Glück implodiert. Das gibt’s doch gar nicht, dass die alle unentwegt im siebten, vierzehnten, einundzwanzigsten Himmel herumschweben. Das kann doch nicht sein!

Man sitzt zum Beispiel in einem Café, und am Nebentisch sitzt eine junge Dame und wartet offensichtlich auf ihren Freund. Sie trinkt schon den dritten Latte Macchiato, er kommt zu spät, keine Frage. Sie wird immer nervöser, holt das Handy heraus, versucht ihn zu erreichen, erfolglos. Sie raucht ununterbrochen und irgendwann, vielleicht nach einer dreiviertel Stunde, drückt sie die letzte Zigarette aus, greift zu ihrer Jacke und will gehen. In diesem Moment kommt er herein. Er stürzt auf sie zu, gibt ihr einen Kuss auf die Wange und beginnt sich gestenreich zu entschuldigen. Man hört modisch-urbanes Wortgeklingel: Meeting, Präsentation, Rushhour … Aber in den Augen der Fastversetzten sieht man Zweifel und verletzten Stolz aufblitzen, und ihre Nasenflügel beben, sie scheint an seiner Jacke die Witterung eines fremden Parfüms aufgenommen zu haben, so wie man das aus alten Ehebruchfilmen kennt. Die Augen der attraktiven Brünetten suchen nach einem fremden, wahrscheinlich blonden Haar auf dem Jackettkragen. Man hofft, dass sie eins findet, man hofft, dass sie sich nicht bequatschen lässt, diesmal nicht, dass sie hart bleibt, dass sie sagt, sie lasse sich das nicht mehr bieten, sie habe jetzt die Faxen endgültig dicke. Und dann fantasiert man, sie müsse ihm doch jetzt eine knallen, richtig ordentlich eine semmeln, ihm den Rest Milchkaffee ins Gesicht schütten und dann mit erhobenem Kopf aus dem Lokal rauschen …

Aber selbstverständlich gibt sie nach, schmilzt dahin, verzeiht ihm, und eng umschlungen ziehen die beiden von dannen. Oder von hinnen? Egal, zumindest bleibt man wieder allein zurück.

Und Trost findet man – wie so oft – nur in der Musik. Man legt Joe Jackson auf: „Happy loving couples“ , wo es heißt: „Happy loving couples make it look so easy / Happy loving couples make it look so fine / Happy loving couples make it look so easy / Those happy couples are no friends of mine …“ HARTMUT EL KURDI