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Archiv-Artikel

Das Land der Klöpse

Sybille Bedford kennt sich mit gutem Essen und gutem Wein aus. Beides war für die 1911 geborene Schriftstellerin hilfreich, als sie „Ein Vermächtnis“ schrieb. In der Familiensaga geht es auch kulinarisch um den Niedergang des deutschen Adels nach 1871

von SEBASTIAN HANDKE

Dies ist nicht unbedingt ein Buch, das man mit leerem Magen lesen sollte. Denn kaltes Wild und Johannisbeergelee, Zunge und Geflügel, Pumpernickel, Toast und Roggenbrot, Ei in Sahne, geräucherte Putenbrust, dazu Portwein und Sherry – das ist lediglich das zweite Frühstück, und selbst dieses wird jeden Morgen um viertel nach elf am langen Herrentisch serviert.

Das leibliche Wohl spielt keine geringe Rolle in Sybille Bedfords Roman „Ein Vermächtnis“. Als Verfasserin von Reiseberichten und Texten über Essen und über Wein hat sie einige Übung in der Darstellung des Kulinarischen, die sie auch für ihre Romane zu nutzen weiß. Das bösartige Zeremoniell, mit dem in der Benzheimer Kadettenschule die Fleischklöße eingenommen werden, beschreibt sie kontrastierend als drastische Zeichnung dessen, was da über das eher Frankreich – und dem französischen Essen – zugewandte Baden nach 1871 hereinbricht. Denn die Akademie wird nun streng nach preußischer Manier geführt: Fleischklöße heißen jetzt „Klöpse“; wer französisch spricht, wird wegen seines zivilen Humors gerügt.

„Ein Vermächtnis“ beginnt in jener Zeit nach 1871, als das frisch geeinigte Deutschland noch in den Nachwehen seiner von Preußen aus erzwungenen Entstehung liegt. Ganz so, wie die Einzelstaaten sich von nun an miteinander verbunden fühlen sollen, werden durch eher zufällige und umständliche Hochzeiten drei reiche Familien, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aneinander gebunden.

Da sind zunächst die Feldens, Landadel aus Baden. Eine alte Familie, in der französisch gesprochen, Preußen verachtet und ungerührt der Lebensstil des 18. Jahrhunderts gepflegt wird. Ihre Nachbarn, die Bernins, sind katholischer, aber auch gegenwärtiger. Die Grafen Bernin engagieren sich politisch für eine gesamteuropäische Wiedervereinigung des Christentums unter einer „Pax Catholica“ – der Sohn später sogar als Außenminister. Deshalb haben sie auch eine Villa in Berlin. Nur unweit davon entfernt, in der Voßstraße, residiert die Familie Merz, hoch angesehenes Mitglied des jüdischen Großbürgertums in Berlin, freundlich und großzügig, dabei überaus provinziell.

Wie eng die ungewollte Allianz zwischen den Feldens, den Bernins und den Merzens am Ende geworden ist, erweist sich erst durch den landesweiten „Felden-Skandal“, der in der besagten Kadettenschule in Benzheim seinen Ausgang nahm, als Johannes von Felden dort den Verstand verlor. Durch den Artikel eines Journalisten, der schließlich all das, was wir auf den bisherigen Seiten erfahren haben, sorgfältig recherchiert und im sozialistischen Fortschritt in einem flammenden Leitartikel ausbreitet, verknüpfen sich die Fäden der komplexen Handlung noch mal neu und geben dem bevorstehenden Niedergang der wohlhabenden Familien einen zusätzlichen Schub.

Die Stärke von Bedfords „Ein Vermächtnis“, das in einer etwas uneinheitlichen Erzählweise auch seine Mängel hat, liegt in der großartigen, an Details reichen Geschichte und in der eleganten Sprache der Autorin, die die eher traurige Geschichte nicht nur mit Humor, sondern auch großzügiger Distanz zu erzählen weiß. Das ist durchaus bemerkenswert, denn es handelt sich beim „Vermächtnis“ um einen autobiografischen Roman – soweit man so etwas über einen Roman, der hauptsächlich die Vorgeschichte zur eigenen Geburt erzählt, sagen kann. Die hin und wieder als Ich-Erzählerin auftretende junge Francesca ist Sybille Bedford selbst. Sie wurde 1911 in Charlottenburg als Tochter des badischen Adeligen Maximilian von Schoenebeck geboren, wuchs in Italien und Frankreich auf, bevor sie nach England ging, wo sie heute noch lebt. Sie ist auch die Verfasserin jener zweibändigen Biografie ihres Mentors Alduos Huxley, die als Standardwerk gilt.

„Ein Vermächtnis“ ist mit Thomas Manns „Buddenbrooks“ verglichen worden. Ein etwas unfairer Vergleich vielleicht, aber die „Buddenbrooks“ sind letztlich wohl das einzige Buch mit ähnlicher Motivlage: ein Gesellschaftsroman aus Wilhelminischer Zeit, der im Schicksal dreier Großfamilien den Niedergang des Landes erzählt. „Vieles, was man in diesen Jahren geschehen ließ, war unklug, grausam, schlecht, böse“ schreibt Bedford in der Einleitung zur englischen Ausgabe des Romans, „Gehört manches davon zu den Grundlagen des Ungeheuren, was dann folgte? Beim Schreiben kam es mir so vor. Daher der Titel.“

Sybille Bedford: „Ein Vermächtnis“.Aus dem Englischen übersetzt vonReinhard Kaiser. 360 Seiten, Eichborn –Die andere Bibliothek, 27,50 Euro.