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Archiv-Artikel

Trojanische Genpferde

In Polen gelten die EU-Gesetze gegen Gentech. Kein Handel ohne Kennzeichnung, kein Anbau. Aber überprüft wird das nicht. Und eingehalten auch nicht

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Polen könnte das größte Ökoland Europas sein. Wenn es nur wollte. Denn da die meisten Bauern viel zu arm sind, um sich teuren Kunstdünger oder Insektenvernichtungsmittel zu leisten, versprühen sie wesentlich weniger Gift als ihre Kollegen in Westeuropa. Die Folge: Tomaten schmecken noch wie Tomaten, Äpfel wie Äpfel, und auch das Fleisch schmurgelt in der Pfanne nicht zu einem Winzsteak zusammen. Doch die Not der Bauern macht sie auch offen für Erfindungen. Statt auf Bio setzen sie lieber auf Gentechnik. Kurz hintereinander schlugen jetzt mehrere Öko-Organisationen Alarm: Genmanipulierte Lebensmittel sind auch in Polen auf dem Vormarsch.

Im Februar rüttelte ein Artikel des Londoner Guardian die polnische Öffentlichkeit auf. Das britische Blatt zitierte Geert Ritsema von den Aktivisten Friends of the Earth mit den Worten: „Polen hat den Anbau von GMO-Soya [GMO – genmanipulierte Organismen] erlaubt […]. Leute können diese Sachen kaufen und verkaufen, können kontaminierte Saat ausbringen, ohne dass sie Angst vor Verfolgung oder Entdeckung haben müssten.“

Diese Narrenfreiheit liegt allerdings nicht daran, dass Anbau von Genmais oder Handel mit Genweizen ohne Kennzeichnung erlaubt wäre. Schon vor dem Beitritt Polens zur EU Anfang Mai mussten alle Lebensmittel, die mehr als 1 Prozent GMO enthalten, entsprechend gekennzeichnet werden. Da es aber kein Labor gab, das Lebensmittel systematisch auf gentechnische Veränderungen hin hätte untersuchen können, gehörte die Regelung zu den berüchtigten Papiertigern, von den es Polen eine ganze Reihe gibt. Genaue Zahlen über das Ausmaß fehlen. Die Regierung stellt sich taub. Doch es gibt eine Menge Indizien dafür, dass in Polen großflächig gentechnisch veränderte Organismen auf dem Acker und im Regal stehen. Experten sprechen von Gentech-Experimente auf freiem Feld, Gen-Saatgut im Handel, keine funktionierende staatliche Kontrolle und offenbar überall GMO-Lebensmittel und Futtermittel im Handel.

Schon 2001 hatte Professor Jan Szopa-Skorkowski auf einer seiner Radtouren rund um Wroclaw (Breslau) ein Maisfeld erspäht, das anders aussah, als die benachbarten Felder. Er brach ein paar Maiskolben ab, untersuchte sie in seinem Labor und sah seinen Verdacht bestätigt: das Mais war genmanipuliert. Der Biologe, der selbst gentechnische Experimente durchführt und die Gefahr der Wind- oder Bienenbestäubung von Naturmais durch GMO-Mais kennt, informierte sofort das nächste Bezirksamt und schrieb sogar direkt an den Wojewoden von Breslau. Aber es waren Wahlen, und so verlief die Sache im Sand.

Iza Kruszewska, die seit Jahren für Greenpeace und die Northern Alliance of Sustainability (Anped) forscht, befürchtet, dass diese Lücke im System ausgenützt wird. Gentech-Konzerne haben die EU-Neumitglieder und hier insbesondere Polen als Hintertür entdeckt, um genmanipulierte Lebensmittel in den Wirtschaftskreislauf der EU einzuschleusen, so Kruszewska.

Tony Combes von der britischen Firma Monsanto, die in den letzten Jahren in Polens Biotech-Forschung investiert hat und auch – wie aus der Monsanto-Website hervorgeht – Versuchsfelder in Polen angelegt hat, wies den Vorwurf zurück, die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten als trojanischen Pferd missbraucht zu haben. „Jedes Beitrittsland muss alle EU-Regelungen voll übernehmen und erfüllen. Dies schließt auch die Kennzeichnungspflicht von Produkten in jeder Industrie ein.“

Den polnischen Öko-Organisationen ging sofort die Brisanz dieses Satzes auf. Sollten die ersten systematischen Kontrollen den Verdacht bestätigen, dass in Polen mit nicht gekennzeichneten GMO-Lebensmitteln gehandelt wird, würde dies nicht nur für Polens Verbraucher eine Katastrophe bedeuten. Es wäre auch eine große Gefahr für Polens Agrarexporte in die westlichen EU-Staaten.

Polens Landwirte und die ganze Lebensmittelindustrie leben vom Export nach Westen. Dort aber wollen über 70 Prozent der Verbraucher keine gentechnisch manipulierten Lebensmittel essen, und viele Produzenten und Lebensmittelketten haben sich verpflichtet, keine GMO-Produkte zu verarbeiten.

Tage nach der Veröffentlichung des Guardian-Artikels flatterte Umweltminister Czeslaw Sleziak der „Genetische Albtraum“ auf den Tisch. Den offenen Brief hatten 24 Öko-Organisationen und Parteien unterschrieben. „Seit wann werden in Polen genetisch manipulierte Pflanzen angebaut? Wo? In welchen Mengen?“ Und: „Woher sollen die Bauern wissen, ob der Samen, den sie guten Glaubens erwerben, von GMO-Pflanzen stammt? Wer zahlt ihnen Entschädigung, wenn sich bei einer Kontrolle herausstellt, dass auf dem Acker GMO-Pflanzen wachsen?“

Der Minister ließ sich knapp einen Monat Zeit und antwortete dann, dass es in Polen Gesetze und Verordnungen gebe, die das ganze Problem im Sinne größtmöglicher Sicherheit für die Verbraucher regelten. Es sei also alles in bester Ordnung. Für die Umsetzung des Rechts in die Praxis sei er nicht zuständig. Kontrollen würde die Haupt-Sanitär-Inspektion durchführen. Fazit des Ministers: „In Polen wird kein genetisch veränderter Mais oder Soja angebaut.“

Nicht die Haupt-Sanitär-Inspektion, sondern die Inspektion der Handelsqualität von landwirtschaftlichen Produkten, sorgte dann allerdings für eine Überraschung. Sie veröffentlichte Anfang März das Ergebnis ihrer Stichprobenkontolle bei 85 Unternehmen, die Soja oder Mais einführen und verarbeiten – im letzten Jahr rund 170.000 Tonnen. Davon waren bei der Ankunft in Polen 99 Prozent als GMO gekennzeichnet. Zwar gaben zahlreiche Firmen diese Information an die Konsumenten weiter, allerdings oft missverständlich. 34 der untersuchten 85 Unternehmen verkauften ihre Ware als GMO-freie Produkte.

Greenpeace, das Mitte Mai sein erstes Büro in Polen eröffnete, schob einen weiteren offenen Brief nach: „NEIN gegen die alten GMO-Regelungen im NEUEN EUROPA“. Greenpeace sowie zahlreiche andere polnische Öko-Organisationen forderten Umweltminister Sleziak auf, die alten EU-Regelungen für GMO mit einem Moratorium außer Kraft zu setzen. Zunächst sollte eine genaue Bestandsaufnahme von GMO-Anbau und -Handel in Polen gemacht werden. Zudem müsse eine EU-weite Entschädigungsregelung für Bauern gefunden werden, deren Saat durch herumfliegende GMO-Pollen verunreinigt wurde.

Maciej Muskat, der Leiter des Greenpeacebüros in Warschau, übt sich in Geduld: „Noch warten wir auf die Antwort.“ Am 2. Mai ist in Polen die Regierung zurückgetreten, und auch die neue führt nur kommissarisch die Geschäfte. Es kann also noch etwas dauern. „Uns interessiert nicht das Recht“, sagt Muskat. „Die Gesetze sind eigentlich ganz gut. Uns interessiert die Praxis. Wie sieht es im Land aus? Gibt es illegale GMO-Felder? Werden die Konsumenten korrekt informiert, oder wissen sie gar nicht, was sie essen?“ Entscheidend sei der politische Wille: „Wollen wir gesunde Lebensmittel? Oder wollen wir Mais mit eingebautem Insektenvernichtungsmittel?“