: Wasserwerfer zu Windmühlen
Die Polizeikaserne von Bork hat längst ausgedient. Heute werden hier Polizisten ausgebildet, Windkraftanlagen installiert und Theaterstücke aufgeführt
AUS BORK LUTZ DEBUS
Veteranen der Anti-AKW-Bewegung, die die Demonstrationen in Brokdorf, Grohnde, Kalkar und Gorleben miterlebten, erinnern sich noch an die grünen Mannschaftsbusse mit dem Autokennzeichen UN. Im Angesicht von Wasserwerfern und Hubschraubern machte ein Scherz die Runde, dass nun wohl schon die Vereinten Nationen eingeschaltet worden seien. Tatsächlich aber kamen die Fahrzeuge aus dem Kreis Unna, aus der Gemeinde Selm, dem Ortsteil Bork. Dort residierten die Bereitschaftspolizeiabteilungen I und VI. Das Dörfchen Bork hatte mit etwa 1.000 Polizeibeamten auf 7.000 Einwohner die wohl weltweit höchste Polizeidichte. Das ist nun schon 25 Jahre her. Auch die Bilder, auf denen Ketten von weißbehelmten Männern auf Kraftwerke aufpassten, scheinen verblaßt. Wenn sich heute der Besucher Bork nähert, fällt ihm zunächst ein großes Windrad auf. Ausgerechnet die Polizei hat dank grünem Bauminister den ersten Windgenerator der Region in Betrieb genommen.
Dieter Schmidt, Direktor des Instituts für Aus- und Fortbildung der Polizei Nordrhein- Westfalen, kurz IAF, empfängt mich in seinem funktional und elegant eingerichteten Arbeitszimmer. Durch das Glas seiner randlosen Brille lächeln mich gleich vier Augen an. Ein optisches Phänomen. Dieter Schmidt könnte auch ein Klinikum, einen mittelständischen Betrieb oder eine Stadtverwaltung leiten. Begeistert referiert er über die Umgestaltung der Polizeiausbildung in Nordrhein-Westfalen.
Der mittlere Dienst ist inzwischen abgeschafft. Seit diesem Jahr kann man den Beruf des Polizisten nur noch an einer Fachhochschule studieren. Er ist kein handwerklicher Beruf mehr, sondern ein akademischer. Polizisten müssen nicht mehr nur Verordnungen und Gesetze büffeln. Verhaltens-, Stress- und Kommunikationstrainings stehen ebenso auf dem modernen Lehrplan. Eine der verbreitetsten Einsätze, die Schlichtung von Familienstreitigkeiten, lässt sich eben nicht einfach dadurch bewältigen, dass einer der Streitenden in Gewahrsam genommen wird. Hier ist der Familientherapeut im Polizisten gefragt.
Die Umgestaltung der nordrhein-westfälischen Polizei begann vor etwa 30 Jahren. Dieter Schmidt kann sich noch an seine eigene Ausbildung erinnern. 1970 marschierte er mit seinen Kollegen im Gleichschritt durch den kleinen Ort Oberaden, gelegen zwischen Lünen und Bergkamen. Die Polizei verfügte noch über Maschinengewehre und Handgranaten. Diese wurden zu Beginn der Siebziger Jahre dann aber ausgemustert. „Wir benötigten sie nicht zur Bewältigung polizeilicher Lagen.“, kommentiert dies Schmidt knapp. In den frühen Fünfziger Jahren sah man das noch anders. Der Feind wurde nicht nur im Osten, sondern auch im Inneren vermutet.
Sicherlich auch als Folge von 1968 entwickelte sich die Polizei von einer obrigkeitsstaatlich geprägten zu einer demokratischen Institution. Ein entscheidender Schritt dazu war 1993 die Ausgliederung der Bereitschaftspolizei. Inzwischen sind die Einsatzhundertschaften auf die Kreispolizeibehörden verteilt worden. In Bork gibt es keine Polizeikaserne mehr. Dies geschah trotz zum Teil heftigen Widerständen von Bund und anderen Ländern. Man befürchtete, dass NRW über keine Hundertschaften mehr verfügen würde. Das Gegenteil ist nun der Fall. Früher war ein Großteil der Einsatzkräfte der Hundertschaften in der Ausbildung. Heute kann man erst nach erfolgreichem Abschluß und einer gewissen Berufspraxis zur Bereitschaftspolizei wechseln. Insofern gelten die Polizeieinheiten aus NRW im Bundesvergleich als besonders qualifiziert. Andere Länder haben sich von dem alten System der kasernierten Unterbringung und dem Dienst bei der Bereitschaftspolizei als Bestandteil der Ausbildung noch nicht verabschieden können.
Die Gebäude des IAF stehen auf historisch vorbelastetem Grund und Boden. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich auf dem Gelände eine Fallschirmfabrik und auch ein Munitionsdepot. Im letzten Kriegsjahr wurde dieses Depot von den Alliierten bombardiert und explodierte fast vollständig. Ein Gebäude, die „Spinne“, wurde aber erst in den Siebziger Jahren abgerissen. Sein Grundriss hatte die Form eines Hakenkreuzes. Zwei Jahrzehnte hätte man von oben betrachtet also ein verbotenes Symbol auf dem Gelände der Gesetzeshüter sehen können. Doch Luftaufnahmen waren zu der Zeit aus Sicherheitsgründen verboten.
Und die Situation direkt nach dem Krieg? War Bork nicht immer so etwas wie eine Garnisonsstadt? Gerda Tomaszewski, gebürtige Borkerin und nun für die Öffentlichkeitsarbeit des Instituts zuständig, kennt die Geschichten der alten Borker, so auch die, wie 1951 die erste Hundertschaft von den Bewohnern herzlich begrüßt wurde. “Bork braucht die Polizei. Sonst wären wir viel länger im Dornröschenschlaf geblieben.“ Tatsächlich ist die Polizei der größte Arbeitgeber. Ansonsten gibt es noch eine Fabrik für Pappteller und einen Großbäcker. Bork gehört zum eher strukturschwachen Nordrand des Ruhrgebietes. Bevor der Steinkohlebergbau hier hin wandern konnte, wurde er stillgelegt.
Das Verhältnis zwischen den Borkern und der Polizei sei herzlich, versichert Dieter Schmidt. Die Bürgermeisterin gehe hier ein und aus, viele Polizisten engagieren sich in den zahlreichen Vereinen. Die jungen Polizeistudenten haben alle ein Auto, fahren nach 16.00 Uhr direkt nach Hause. Probleme wie an Bundeswehrstandorten gebe es hier nicht.
Zumindest, was die Siebziger Jahre betrifft, weiß Conny etwas anderes zu berichten. Ich treffe sie in der Pizzeria Milano: “Die Jungs im Dorf mochten die Polizeischüler nicht. Da gab es schon manchen heftigen Streit. Als Mädchen mußte man sich entscheiden. Entweder einen Freund mit Geld oder einen mit langen Haaren. Ich hab damals im Supermarkt gejobbt. Wenn die mit ihren geschorenen Köpfen in Grüppchen rein kamen, pries ich durch die Lautsprecheranlage frisches Jungbullenfleisch an.“
Inzwischen ist die Polizei wohl in der Zivilgesellschaft angekommen. Zwischen aktueller Haarmode und der Dienstvorschrift über die gestattete Haarlänge liegen keine Welten mehr. Etwa die Hälfte der Polizisten sind ohnehin Polizistinnen, bei der Gestaltung ihrer Frisur sind sie überhaupt nicht eingeschränkt. Aber auch sonst herrscht bunte Vielfalt . Nicht nur Bürger von EU-Staaten werden für den Polizeidienst ausgebildet. Junge Türkinnen und Türken werden Polizisten. Das Fortbildungsprogramm könnte teilweise von einer Familienbildungsstätte abgeschrieben sein:
Das IAF kann für ältere, vom ständigen Schichtdienst gestresste Kollegen als Gesundheitsoase mit Waldlauf, Schwimmbad und Sauna genutzt werden. Für die Probleme innerhalb der Polizei, Fälle, in denen Polizistinnen von ihren Kollegen gemobbt wurden, wird inzwischen von Psychologen Coaching und Supervision angeboten.
Besonders sympathisch sind Polizisten, wenn sie Theater machen. In der Außenstelle Schloß Holte-Stuckenbrock gründete sich eine Theatergruppe. Statt Schillers “Räuber“ spielt die Polizei Polanskis „Tanz der Vampire“. Ohne dass ein einziges Plakat aufgehängt wurde, sind bereits 1.000 Eintrittskarten für die nächste Premiere im November verkauft. Der Streifenwagenpolizist als Mime ist in Westfalen ein gesellschaftliches Großereignis.
Vielleicht hat sich das Räuber- und Gendarmespiel der frühen Jahre doch für alle Beteiligten gelohnt. Otto Schily ist Innenminister, Joschka Fischer ist Außenminister geworden. Und die Polizei macht Theater, Yoga und Supervision. Man hat voneinander gelernt.