piwik no script img

Archiv-Artikel

Der schreibende Schädling

Seymour Hersh ist noch immer einer der umtriebigsten investigativen Journalisten Amerikas – und noch nicht fertig mit einer Arbeit, die das Pentagon als „befremdlich und verschwörerisch“ bezeichnet

Er schreibt spröde Collagen wie aus dem Reißwolf, die wie leise Explosionen zünden

VON TOBIAS MOORSTEDT

Seymour M. Hersh ist ein guter Reporter, aber was er am besten kann, ist, Leute in Wut zu versetzen. Das ist eher Terrorismus als Journalismus, wütete Richard Perle sinngemäß, als Hersh im Herbst 2003 einen Artikel über ihn veröffentlichte, der einen Interessenkonflikt Perles wegen seiner Tätigkeit als Bush-Berater und jener als Investor in Gasmasken- und Söldnerfirmen suggerierte. Perle nutzte die übliche Rhetorik der Neo-Cons: für Amerika oder gegen Amerika? Es ist eine blöde Frage. Seymour Hersh, 67, Reporter beim Magazin New Yorker, steht auf der Seite der Wahrheit. In Amerika kann das derzeit auch die falsche sein.

„Man kann schöne Geschichten erzählen über diese Möchtegern-Regierung und die Konzernwelt, in der wir leben“, sagte Hersh schon 1990 dem Progressive Magazine. Diese Geschichten erzählt Hersh auch zehn Jahre später in der Reihe „Annals of National Security“ exklusiv für den New Yorker. In bislang 23 Folgen beschreibt er Strategiefehler, Ungereimtheiten und Gesetzesbrüche im Kampf gegen den Terror. Den großen Scoop landete er aber in Folge 20, als er die „Folterer von Abu Ghraib“ und die schlechte Aufklärung des Militärs anprangerte. Seitdem bringt er wöchentlich ein Update, das Bushs PR-Strategen nicht gefällt.

Der Folterskandal im Irak führt Hersh an den Anfang seiner Karriere. 1969 deckte er das My-Lai-Massaker der US-Armee in Vietnam auf, bei dem 500 Zivilisten ums Leben kamen. My Lai wurde zum Symbol für die kriminelle Sinnlosigkeit des Vietnamkriegs und brachte Hersh den ersten Pulitzer-Preis. Seitdem begleitet er die Schattenseiten der jüngeren US-Geschichte: Watergate, Pinochet, Nicaragua, Golfkrieg I und II. Und nun geht es wieder ums Militär, tote Unschuldige, fehlende Kontrolle und Vertuschung. Es ist, als vollende seine Karriere einen Kreis.

Der Irak, so schrieb die Financial Times vor kurzem, „wird zu einer Bewährungsprobe für die alte Kunst des investigativen Journalismus“. Ein Test, den die Reporter scheinbar bestehen. Das Enthüllungsbuch „Plan of the Attack“ des Watergate-Helden Bob Woodward hält sich seit Wochen in den Bestsellerlisten. Und der Scoop von CBS und Seymour Hersh – unterstützt von den Folterbildern – entfaltet eine noch mächtigere Wirkung. Die Methoden der beiden Journalisten sind sehr verschieden. Woodward sitzt als „Journalist des Establishments“ (Times) am Tisch der Mächtigen, lässt ein Tonband mitlaufen und produziert so ein autorisiertes Hörspiel aus dem Oval Office. Im Politikmoloch Washington werden Topjournalisten eben meist zu einem Teil der Machtstruktur, doch Hersh ist auch nach 30 Jahren ein Außenseiter geblieben.

Vor kurzem beschrieb ein Interviewpartner Hershs ihn in der New York Times so: „Wenn man nicht sagt, was er hören will, dann ruft er: Bullshit, bullshit, bullshit.“ Seine Reputation hat stark gelitten, als er sich 1997 in seinem Kennedy-Buch „The dark side of Camelot“ auf gefälschte Quellen berief. Aber noch immer ist Hersh eine Ikone des amerikanischen Journalismus. Sein Mit- und Gegenspieler Woodward sagt dann auch über Hersh: „Es ist gut, dass da jemand ist, der mit Granaten wirft.“ Es sind leise Explosionen, die Seymour Hersh hervorruft, doch sie entfalten Schockwirkung. Seine Texte sind nicht wegen des Stils spannend. Die Dramatik ergibt sich aus dem Thema. Hersh pflegt eine spröde Schreibweise, die sich oft im Tatsachenreferat verliert, gespickt mit Fußnoten, Zitaten und Dokumenten-Auszügen. Eine Collage aus dem Reißwolf.

Vier Wochen nachdem die ersten Folterfotos auf den Bildschirmen explodierten und Seymour Hersh die nüchterne Bildunterschrift dazu geliefert hatte, lassen Entsetzen und Scham in den USA langsam nach und man versucht einen Modus Vivendi zu finden. Als Sprachregelung hat sich „einige wenige US-Soldaten“ durchgesetzt, die Texte von Hersh bezeichnet das Pentagon als „befremdlich und verschwörerisch“.

Schon ist die Rede davon, dass allzu viel investigativer Furor unpatriotisch sei und dem Land schade. Seymour Hersh, der daran glaubt, dass es so etwas gibt wie die Wahrheit und dass es sich lohnt, nach ihr zu suchen, wird sich davon nicht beeindrucken lassen. Gerade schreibt er ein Buch über den „Krieg gegen den Terror“. Er sagt: „Ich bin noch nicht fertig mit meiner Arbeit.“ Es klingt wie eine Drohung.