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Archiv-Artikel

Koch macht die Kleinen ganz groß

Die FDP rettet mit Rekordergebnis dem CDU-Ministerpräsidenten das Amt. Jetzt will sie ein drittes Ministerium in der künftigen Regierung: die Bildung

Koch: „Der Spuk ist vorbei.“ – Von einer „eindrucksvollen bürgerlichen … … Mehrheit wie seit Jahren nicht mehr“ redet vorsichtiger sein Generalsekretär

AUS WIESBADEN KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT UND GEORG LÖWISCH

Kurz vor 18 Uhr kann man im Fraktionssaal der SPD bereits erkennen, wer in der SPD die Regie führt. Thorsten Schäfer-Gümbel hat einige Sozialdemokraten aus Gießen gebeten, doch zur Wahlparty im Wiesbadener Landtag anzureisen. Ein paar Genossen sollen den Journalisten sagen, was die Basis so fühlt. Deshalb steht Frank Schmidt jetzt hier, er ist Ortsvorsitzender Gießen-Nord und kennt Schäfer-Gümbel seit der Schulzeit. In die Mikrofone sagt er die Sätze, die seinem Chef bei der Machtübernahme nützlich sein sollen. In nur 71 Tagen Wahlkampf habe TSG doch alles gegeben, was möglich sei. Mehr könne man nicht verlangen. „Ihm gehört die Zukunft.“

Ein Stockwerk höher sitzen um diese Zeit die Oberen der SPD. Sie haben, so verlautet, schon längst verabredet, dass Andrea Ypsilanti und Schäfer-Gümbel um 18.20 in den Fraktionssaal zur Party heruntersteigen. So kommt es dann auch, die Nochvorsitzende der Hessen-SPD schiebt sich, gedeckt von Leibwächtern, durch die Menge. Der Spitzenkandidat und Baldvorsitzende folgt. Dann stehen sie vor einer Wand aus Fotografen. „Ich würde gern mit den Menschen sprechen“, sagt Ypsilanti. Ihre Stimme klingt nicht gereizt, sondern müde.

„Ich resigniere nicht“, sagt sie, bevor sie ihren Rücktritt verkündet. Dann schlägt sie verabredungsgemäß Schäfer-Gümbel vor. Der 39 Jahre alte Mann aus Gießen soll Chef des Landesverbandes und der Fraktion werden. Sie richtet den Blick auf ihn. Schäfer-Gümbel guckt ernst, er schwitzt, er sieht überanstrengt aus.

Es dauert einige Sekunden, bis er lächelt. Dann sagt er, dass es ein schwerer Tag für die hessische Sozialdemokratie ist. Das kann man wohl sagen: Den Negativrekord aus dem Jahr 2003 von 29 Prozent haben sie locker unterboten. Unter 24 Prozent, ein Desaster. Schäfer-Gümbel versucht mit seiner Rede, die SPD auf einen neuen Zusammenhalt einzuschwören. „Minus achtzehn Grad“, „Winterwahlkampf“, „körperliche Erschöpfung“.

Aber auch etwas von Schäfer-Gümbels Schärfe kommt heraus. Monatelang hat sich die Partei in Debatten um Ypsilantis Projekt einer von der Linken gestützten rot-grünen Regierung aufgerieben. Alle redeten durcheinander. Nun ruft der künftige Chef: „Ich sage sehr klar, dass die Zeit der Spielchen vorbei ist.“ Es klingt bedrohlich, weil er einen Tick langsamer spricht als vorher. „Der heutige Abend ist ein schwerer Abend“, schließt er. „Morgen beginnt die Aufholjagd.“

Diese Herausforderung wird Roland Koch gern annehmen. Doch sehen richtige Siege anders aus. So gut wie nichts gewann die Union trotz einer am Boden zerstörten SPD zu und erreichte gut 37 Prozent. Der eigentliche Wahlsieger ist die FDP von Partei- und Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn, die mit einem Zuwachs von über 6 Prozent auf 16 Prozent kam – das beste Ergebnis für die Hessen-FDP seit 1950. Hahn rettet also Koch das Ministerpräsidentenamt. Weit über 50 Prozent sind den koalitionswilligen Partnern nach der Prognose sicher.

Roland Koch tritt vor seinen Anhängern dennoch nicht im Büßerhemd auf. „Der Spuk ist vorbei; Hessen hat wieder eine stabile Regierung“, lässt er alle wissen. Und er bedankt sich bei seinen Parteifreunden für den „großen Zusammenhalt in guten wie in schlechten Tagen“. Der Beifall für Koch ist gewaltig. CDU-Generalsekretär Michael Boddenberg redet dagegen in einer ersten Stellungnahme lieber von einer „eindrucksvollen bürgerlichen Mehrheit wie seit Jahren nicht mehr“ für CDU und FDP.

„Alle Wahlziele erreicht: Wir werden wieder regieren, Roland bleibt unserer Ministerpräsident – und die Kommunisten hoffentlich noch draußen vor der Tür“, jubelt im Trakt der CDU im Landtag ein Hinterbänkler, der auf einem unsicheren Listenplatz rangierte. Jetzt ist er drin: „So ein Tag, so wunderschön!“ Da liegt die Linke bei den Hochrechnungen aber schon bei 5,2 Prozent.

Der fast 51 Jahre alte Koch wird jetzt schon zum dritten Mal wieder ordentlicher Ministerpräsident des finanzstärksten Bundeslandes der Republik werden. Totgesagt – und danach doch noch gerettet von der FDP – wurde Koch schon während der Schwarzgeldaffäre der hessischen CDU 2000/2001 und dann noch einmal nach dem Wahldebakel vom Januar 2008. An der Landesverfassung, die ihm das Weiterregieren auch ohne Mehrheit geschäftsführend gestattete, richtete Koch sich wieder auf. Und er behielt in der Konfrontation mit dem „Linksbündnis“ die Nerven. Dessen kleinster gemeinsamer Nenner war die Parole: „Koch muss weg!“

Jetzt ist Koch wieder da. Zwar braucht Koch die Hilfe der erstarkten FDP, die ihr Glück schon nach der Prognose kaum fassen kann. Parteichef Hahn spricht davon, dass man „in aller Demut“ verantwortungsbewusst mit dem großen Vertrauensbeweis und Vertrauensvorschuss umgehen werde: „Unser Wort gilt!“ Zwei Ministerien wollte die FDP bislang besetzen; Justiz und Wirtschaft. Gibt es jetzt neue Begehrlichkeiten nach dem großen Wahlsieg? Hahns Stellvertreterin Baer wollte „jetzt in dieser Stunde nach diesem tollen Ergebnis“ darüber nicht reden.

Andere bei der FDP schon. „Gehen wir über die Fünfzehnprozentmarke, wollen wir auch noch das Bildungsministerium“, lautet die neue Parole im FDP-Trakt, wo die Stimmung prächtig ist. Die Sektgläser klirren. Jetzt stürmen Kamerateams wie eine Büffelherde den überfüllten Gebäudeteil: Sie wollen Sieger sehen.