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Archiv-Artikel

Kinderleichter Kampf gegen Übergewicht

Weil jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche zu dick ist, startet Renate Künast Kampagne für gesunde Ernährung

BERLIN taz ■ Die neue Gefahr auf der Welt heißt: Fett. Sie beschränkt sich schon lange nicht mehr auf das Land der Chipstonnen und Riesen-Burger, die USA. Auch in Deutschland ist mittlerweile jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche zu dick. Nachdem die Politik lange zögerlich reagierte, hat Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) die Bekämpfung von Übergewicht jetzt zum Arbeitsschwerpunkt erklärt. Gemeinsam mit Eltern, Lehrern, Sportlern und Ärzten will sie Kindern ab sofort beibringen, weniger und gesünder zu essen. Zum Auftakt lud sie gestern zum Kongress „Kinder und Ernährung“ nach Berlin. Motto „Kinderleicht: Besser essen, mehr bewegen“.

„Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin“, sang Marius Müller-Westernhagen einst. Auch heute werden dicke Kinder gehänselt, ziehen sich zurück, bewegen sich kaum. Als hätten sie es nicht schon schwer genug, leiden sie an Krankheiten, die bisher nur Ältere trafen: zu hoher Blutdruck und Zucker, überlastete, schmerzende Gelenke. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kommt gar zu dem Schluss: „Übergewicht bei Kindern ist die globale Epidemie des 21. Jahrhunderts.“

„Die Kids haben doch schon am Mittwoch Zucker und Fett für eine ganze Woche gegessen“, bestätigt Renate Künast. Das wolle sie nicht länger hinnehmen – zumal die süße Last der Kleinen langfristig auch den Finanzrahmen der Krankenkassen sprenge. Experten schätzen, dass ernährungsbedingte Krankheiten schon heute ein Drittel der gesamten Gesundheitskosten verursachen.

„Damit sich das ändert, sollten Kinder wieder wissen, was auf den Tisch kommt“, meint Künast. Mit ihrer Kampagne sollen sie in Kindergärten und Schulen lernen, wie beispielsweise die Möhre wächst. Wie schmeckt sie? Wieso ist sie gut für den Körper? „Den Kindern entgeht etwas, wenn sie das alles nicht wissen“, sagt Künast. Damit sich dicke Kinder nicht in die Ecke gedrängt fühlen, setzt die Verbraucherministerin auf positive Motivation: Wissen mache Lust auf gesunde Ernährung. Dabei vertraut sie auf das „Karius-und-Baktus-Prinzip“ – die zwei bösen Bilderbuchbuben bauten sich kleine Häuser in Zähnen, animierten so Generationen zum Zähneputzen.

Vor der massiven Werbung der Lebensmittelkonzerne, die die Jugendlichen längst als kaufkräftige Klientel entdeckt haben, schützt auch das alles jedoch nicht. Darüber ist sich Künast im Klaren. So sagte sie gestern in Richtung Nestlé, Unilever und Kraft Foods: „Die Wirtschaft kann nicht nur ihr Geld verdienen, sie muss auch gesellschaftliche Verantwortung tragen.“ Bislang bleibt es aber noch bei der Forderung: „Es hat viele Gespräche, aber noch kein einziges Projekt gegeben.“

Derweil tut sich allerdings etwas auf der europäischen Ebene. Gestern kündigte EU-Verbraucherschutzkommissar David Byrne an, schon nächste Woche einen Verordnungsentwurf vorzulegen. Danach sollen irreführende Werbeslogans künftig verboten sein. Sein Beispiel: „Ein Produkt, das 90 Prozent fettfrei ist, ist noch lange nicht fettarm.“ Wer künftig also einen Joghurt oder eine Schokolade mit dem Label „fettarm“ kauft, darf sich dann immerhin einer Sache sicher sein: Der Fettgehalt liegt unter 3 Prozent.

HANNA GERSMANN