Frieden von unten

In der Demokratischen Republik Kongo soll eine gemeinsame Regierung der bisherigen Kriegsparteien eingesetzt werden. Aber das ist nicht der richtige Weg zum Frieden

Im afrikanischen Kontext, wo Blutsbande wichtig sind, reicht die westliche Demokratie nicht

Die Demokratische Republik Kongo gleicht einem Haus mit drei Stockwerken. Im lichtdurchfluteten ersten Stock befindet sich alles, wovon ein von einer endlosen Krise ermüdetes Volk nur träumen kann: eine Verfassung, eine Reihe von Friedensverträgen, eine Übergangsregierung der Nationalen Einheit, ausgeklügelte Entscheidungsmechanismen und schließlich die Aussicht auf freie und demokratische Wahlen innerhalb von zwei Jahren. Die ganze Welt liebt diese Etage und öffnet ihre Geldbörsen, um die wiedergefundene Hoffnung im Lande Patrice Lumumbas zu stützen.

Die Realisierung dieser Hoffnung hängt von den Entwicklungen im zweiten Stock ab, wo Kongos heroische Eliten sitzen, die sich seit Jahren bekämpfen und sich jetzt wie vernünftige Politiker benehmen sollen. Nun erst wachen sie auf und merken, was sie da alles auf das Drängen ausländischer Vermittler und Mächte hin unterschrieben haben. So muss der junge Präsident Kabila jetzt eine Regierung voller Minister anderer politischer Strömungen führen, die ihm nichts schuldig sind und zu keinen Konzessionen bereit sind. Für alle Beteiligten geht es vor allem darum, wie der Kuchen aufgeteilt wird. Und das wäre einfacher, wenn die Eliten im zweiten Stock nicht völlig von ihren ausländischen Verbündeten abhängig wären, die im Erdgeschoss sitzen.

Sie sind es, die die wahre Macht für sich behalten. Nicht nur war ausländischer Druck nötig, um die Kongolesen zum Friedensschluss zu bringen; der Wiederaufbau des Landes hängt auch vom Ausgang des Wettbewerbs zwischen den externen Partnern des Friedensprozesses um die Gunst der Geldgeber ab. Die Großmächte, die die internationalen Finanzinstitutionen kontrollieren, haben zwar jetzt eine multinationale Truppe nach Bunia geschickt, um Massaker zu beenden. Aber man darf sich fragen, was eigentlich nach dem 1. September passieren soll, wenn das Mandat der Truppe endet. Vielleicht geht es ja um den Beginn eines ausländischen Protektorats für den Kongo, um das Land zu gegebenem Zeitpunkt in geordnetem Zustand an den jungen Kabila zu übergeben, so wie 1964/65 UN-Truppen den Osten des Landes für den jungen Mobutu sicherten?

Die Parallele ist offenkundig: Beide Figuren spielen mit dem Eindruck von Schwäche, um die Sympathie des Westens zu bekommen, dessen Kraft die Kongolesen fasziniert. Doch anders als in den 60er-Jahren spielen diesmal die Interessen der Nachbarländer eine Rolle, was die Rolle der internationalen Gemeinschaft verringert. Und vor allem sind bewaffnete Banden und Milizen in der Lage, trotz der Anwesenheit internationaler Truppen den Kongo in ständiger Unsicherheit zu halten. Die internationale Gemeinschaft im Kongo, angeführt von der UN-Mission, weiß viel zu wenig darüber, was sich in den einzelnen Etagen des Hauses abspielt. Sie gleicht der Satellitenschüssel auf dem Dach, über die zwar die Hausbewohner mit der Außenwelt kommunizieren, die aber die Vorgänge drinnen nicht steuert.

Das Haus des Friedens im Kongo von oben nach unten zu bauen, indem man so schnell wie möglich die Institutionen der Übergangsregierung bildet und einen nicht funktionierenden Staat wieder in Gang setzt, kann also nicht funktionieren. Die beste Regierung der Welt kann aus Kinshasa heraus nichts erreichen, wenn das Land weiterhin im Zustand des Zerfalls bleibt. Nur von der Bevölkerung aus, von unten nach oben, kann eine nachhaltige Lösung der Krise gebaut werden.

Doch Kongos Bevölkerung sitzt in keiner der Etagen des neuen Hauses, sondern im Keller. Sie ist für die Kriegsparteien unsichtbar, obwohl diese alle behaupten, sie zu vertreten. So geht es zunächst darum, sie sichtbar zu machen.

Für die einfachen Menschen im Kongo ist körperliche Sicherheit ein knappes Gut geworden. Sie sind heute bereit, jedem Warlord hinterherzulaufen, der den Anschein von Ordnung durchsetzt. Denn in Abwesenheit humanitärer Hilfe wird jede Friedensperiode zur Gelegenheit, Felder zu bestellen und sich zu ernähren. Sicherheit ist das Grundproblem, von dessen Lösung alles abhängt. Effiziente Polizeikräfte auf Provinzebene, gut bezahlt, gut ausgebildet und multiethnisch, könnten Sicherheit garantieren. Die existierenden Sicherheitskräfte sind Verlängerungen bewaffneter Gruppen und ethnischer Milizen, mitsamt deren Intoleranz und Neigung zu blinder Gewalt.

Aber das Problem geht noch tiefer. Nach so vielen Jahren Gewalt ist eine Generation von Kindern aufgewachsen, die glaubt, Selbstverwirklichung nur mit der Waffe erreichen zu können. Diese Kinder sind das Spiegelbild einer Gesellschaft, in der das Faustrecht herrscht. In Goma pflegen Oberschüler im Falle des Todes einer der ihren die Hauptstraßen der Stadt zu blockieren und Kleintransporte und Busse gewaltsam zu requirieren, um sie zur Teilnahme an Trauerprozessionen zu zwingen. Niemand kann etwas gegen diese Jugend tun, die die Leute einschüchtert und sich in anderen Orten sogar als Miliz konstituiert. Das ist die Jugend, die den Kongo von morgen regieren soll.

Es reicht also nicht, auf die Stärkung der Zivilgesellschaft zu setzen. Diese wird üblicherweise als Hort gesellschaftlicher Freiheiten und Basisdemokratie gesehen, im Gegensatz zu Diktatoren und totalitären Regimen. In Afrikas gescheiterten postkolonialen Staaten gilt die Zivilgesellschaft als Ort der moralischen Gesundung. Aber Kongos Zivilgesellschaftler sind genauso an politischen Winkelzügen beteiligt wie die Diktatoren und Politiker; sie wetteifern um Regierungs- und Parlamentsposten, die im Kongo die Basis für Reichtum sind, und lassen sich von diesem Wettbewerb spalten. Im Ergebnis zählen Ethnie und Herkunft mehr als Kompetenz.

Die Kongolesen sind bereit, jedem Warlord hinterherzulaufen, der den Anschein von Ordnung durchsetzt

Um daran etwas zu ändern, muss die Frage nach den Kriterien von Repräsentativität und Legitimität gestellt werden. Im Kontext eines Kongo, in dem jeder beliebige Warlord in irgendeinem Urwalddorf eine Rebellion gründen kann und dann als Belohnung ein paar Monate später am Verhandlungstisch der Großen sitzt, ist die Versuchung groß, sich durch die Macht des Stärkeren und den Zugang zu Waffen zu legitimieren. Im afrikanischen Kontext, wo Blutsbande sehr wichtig sind, wo in Abwesenheit eines funktionierenden Staates das Einmauern in der eigenen Ethnie Sicherheit schafft, wo die Freiheit des Einzelnen auf gemeinschaftlich gesetzte Grenzen stößt, reicht das westliche Demokratiemodell, das auf die freie Wahl einer Führung durch mündige Bürger setzt, nicht weit genug.

Demokratie muss im Kongo auf unterster Ebene beginnen, in der Gemeinde und in der Provinz. Man muss die Lösung in der Schaffung überschaubarer Einheiten auf Provinzebene suchen. Nur die Dezentralisierung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Macht wäre eine Chance für die Menschen, ihr Land wieder aufzubauen und sich dann allmählich auf gemeinsame Interessen zu verständigen. ALOYS TEGERA

Aus dem Französischen von Dominic Johnson