: Grauschleier statt Kopftuch
Beide Seiten im Kopftuchstreit sind in Widersprüche verstrickt, zeigt eine Diskussion mit Fereshta Ludin
BERLIN taz ■ Es geht wohl nicht ohne Geschrei und Empörung, wenn Deutschlands berühmteste Grundschullehrerin Fereshta Ludin sich mitsamt Kopftuch zur Diskussion stellt – und das kurz vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ob Ludin ihr Kopftuch in staatlichen Schulen tragen darf oder nicht. In der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin diskutierte sie am Dienstagabend mit der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, mit der Expertin für Interkulturelles der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sanem Kleff und weiteren muslimischen Frauen. Es endete damit, dass Kleff und Ludin sich gegenseitig verdächtigten, mit Fundamentalismen zu sympathisieren. Die eine wurde des islamischen, die andere des säkularen Fundamentalismus bezichtigt.
Kleff, Muslimin türkischer Herkunft, bezichtigte Ludin, Muslimin afghanischer Herkunft, der Naivität. Das Kopftuch sei ein Symbol des politischen Islam geworden. Nicht speziell Ludins Kopftuch – „ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass Frau Ludin keine Agitation im Klassenzimmer betreibt“, so Kleff. Aber der politische Islam profitiere davon, dass man das Kopftuch für „unschuldig“ halte. „Unter diesem harmlosen Kopftuch können Medien dominiert, Börsen dominiert, Umstürze geplant und durchgeführt werden“, so ihre Warnung.
„Das geht an die Substanz einer muslimischen Frau“, fand Ludin. Sie wehre sich gegen diesen Fundamentalismus: Nicht sie politisiere ihr Kopftuch, sondern die Gegenseite. Sie werde in ihrer Freiheit, ihr Kopftuch zu tragen, diskriminiert. „Seit wann entscheidet eine staatliche Institution über ein Kleidungsstück?“
Nur mit Verdächtigungen hielt sich die Diskussion jedoch nicht auf. Thema war schließlich, ob man mit einem religiösen Symbol auf dem Kopf im Staatsdienst unterrichten dürfe. Die Konsequenz aus dem Kruzifix-Urteil des Verfassungsgerichts, die Konsequenz aus der im Grundgesetz postulierten Trennung von Staat und Kirche sei doch, dass weder das Kopftuch noch ein Kreuz am Hals der Lehrerin etwas in staatlichen Schulen zu suchen habe, so Kleff.
Das ist die Gretchenfrage: Will dieser Staat säkular sein? Dann muss er nicht nur über Kreuze, sondern auch über Schulgottesdienste, Religionsunterricht und „Weihnachts“-Ferien nachdenken. Und das Schulgesetz ändern, in dem die Vermittlung „christlich-abendländischer Werte“ steht. Der Kulturkampf, den das auslösen würde, schwebte wohl der Ausländerbeauftragten Beck vor, als sie in gewundenen Konjunktiven sowohl ihr Misstrauen gegenüber dem Kopftuch als Symbol des politischen Islam ausdrückte als auch es „undenkbar“ fand, dass „unsere Gesellschaft sich auf völlige Neutralität zurückzieht“. Ein interessanter Versprecher, denn es geht ja nur um den Staat, nicht um die Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach sollten im Klassenzimmer sowohl das Kreuz als auch das Kopftuch Platz haben. Dem Verdacht schädlicher Einflussnahme müsse begegnet werden, indem das Wirken der Lehrerinnen mit Kopftuch genau beobachtet werde.
Der deutsche Staat also will bei seiner Widersprüchlichkeit bleiben. Einerseits säkular, andererseits aber doch nicht so ganz. Aber auch die muslimischen Damen sind nicht gerade widerspruchsfrei. Das Kopftuch sei kein Unterdrückungsmittel, betonten die anwesenden Musliminnen immerzu, und auch kein unumstößliches Gebot des Islam: Die eine trägt’s, die andere nicht, heute ja, morgen nein, reines Privatvergnügen. So möchte auch Frau Ludin nicht, dass man einen Zwang in das Tuch hineininterpretiert.
Wenn das wahr ist, warum kann man das Tuch dann im Unterricht nicht ablegen? Und sobald man draußen ist, wieder anlegen? Und stattdessen fordern, dass die christlichen Damen es mit ihrem Kreuz genauso machen? Dafür lohnte sich glatt der Gang vors Verfassungsgericht.
HEIDE OESTREICH
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