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Archiv-Artikel

Die unverschämte Gesundheit

Premiere an der bsc: Der Dokumentarfilm „Dritte Halbzeit“ über den an Parkinson erkrankten Schauspieler Rudolf Höhn

Nichts ist sicher im Leben – das hört niemand gerne, aber es ist wichtig, daran erinnert zu werden! Jeder von uns kann etwa plötzlich so krank werden, dass sein gesamter bisheriger Lebensentwurf dadurch hinfällig wird. Wie besteht ein Mensch solch eine Krise? Diese Frage steht im Zentrum der 55 Minuten langen Dokumentation „Dritte Halbzeit“. Rudolf Höhn war ein erfolgreicher Schauspieler, Kabarettist und Autor. In Bremen gehörte er eine Zeitlang zum Ensemble der Shakespeare Company, danach war er Mitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft – bis 1997 bei ihm Parkinson diagnostiziert wurde.

Der Körper ist für einen Schauspieler das Instrument, auf dem er seine Kunst ausübt, und durch die Krankheit verlor Höhn zunehmend die Kontrolle über seine Gestik und Mimik – er musste sein Leben völlig ändern.

Sechs Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit hat die Bremer Filmemacherin Beatrix Schwehm ihn einen Sommer lang mit der Kamera begleitet. Inzwischen ist Höhn zurück zur Bremer Shakespeare Company gekommen und gründete dort „Pschyrembel“, eine Theatergruppe für behinderte Menschen. Außerdem schreibt er Theaterstücke sowie Kabaretttexte und ist der Pressesprecher des hiesigen Rugbyclubs. Im Film spricht er selber von der „unverschämten Gesundheit der Rugbyspieler“, die ihn fasziniere und liefert so die Analyse seiner Leidenschaft für diesen Sport gleich mit.

Gleich danach sieht man dann den Blick des am Spielrand stehenden Höhn auf die kraftstrotzenden jungen Körper der kämpfenden Rugbyspieler. Der Film ist voll von solchen pointierten Momenten, die Beatrix Schwehm und Rudolf Höhn durchaus auch inszenierten. Etwa wenn er in sein verlassenes Elternhaus in der Schweiz fährt, dort in seinen alten Sachen kramt und im niedrigen Haus wie eingesperrt scheint.

Der Kronleuchter aus den 60er Jahren hängt bei ihm auf Augenhöhe, er sagt, aus dieser Enge hätte er ausbrechen müssen und dann kommt einer von diesen raffinierten assoziativen Schnitten direkt auf das Wandbild von Shakespeare im Domizil der Company am Leibnizplatz. So erzählt der Film nicht ordentlich oder chronologisch, sondern einer eher emotionalen Logik folgend und bekommt so viele Facetten von Höhn erstaunlich unangestrengt unter einen Hut. Es ist eindrucksvoll, wie Kameramann Bernd Meier Höhn in Szene gesetzt hat, die Symptome der Krankheit zeigt, aber nie ausstellt – ihm sehr nah, aber nie zu nahe kommt.

Der Film erzählt von der Krankheit, vom Theater, von der Literatur und vom Rugby – eigentlich müsste er heillos überladen sein, aber er wirkt wie aus einem Guss weil es Beatrix Schwehm gelingt, den Fokus immer auf Höhn zu halten – gerade dann, wenn dieser scheinbar abschweift und sich etwa in einem französischen Rugbymuseum mit dem Kurator über die Schmuckstücke der Ausstellung unterhält. Und dann findet er wieder genau denn richtigen Satz, um eine Situation zu beschreiben, sei es von ihm selbst, Michel de Montagne oder immer wieder Shakespeare.

Am Entspanntesten, manchmal sogar glücklich wirkt Höhn unter den Rugbyspielern. Nur in diesem Sport gibt es die „dritte Halbzeit“, das Ritual der gemeinsamen Feier von Siegern und Besiegten. In einem der letzten Bilder des Films sieht man Höhn am Meeresstrand auf zwei junge Surfer in der Brandung blicken. Er lebt in seiner „dritten Halbzeit“ und dieser Film zeigt sehr berührend, aber nie sentimental, wie er sich darin eingerichtet hat. Wilfried Hippen

„Dritte Halbzeit“ hat am Sonntag um 20 Uhr bei der Bremer Shakespeare Company am Leibnizplatz Premiere. Der Eintritt ist frei, Karten müssen jedoch unter ☎ (0421) 500 333 bestellt werden. Der Film wird im Herbst auf Arte gesendet