: berliner szenen Am Winterfeldtplatz
Von 3 bis 4 Uhr
Oh. Ich hatte gedacht, dies werde die schwärzeste Stunde. Doch dann hatte sie an diesem Dienstag nach Pfingsten zwischen 3 und 4 Uhr schon etwas Lichtes, Laues. Wenn man sich berufsbedingt seinen späten Einschlaftermin abgewöhnt hat, kann es also geschehen, dass man vergisst, wie früh im Sommer das Leben schon beginnt.
Die erste Viertelstunde gleicht einem spärlich choreografierten Tanztheater. Um 3.10 Uhr bleibt ein junges Paar stehen und küsst sich innig auf dem Platz. Händchen haltend läuft es dann in Richtung Maaßenstraße davon. Im nächsten Augenblick zieht eine Spanisch sprechende Vierergruppe die Winterfeldtstraße entlang. Um 3.15 Uhr wankt ein Betrunkener Richtung Kirche, vor zehn Minuten habe ich ihn ähnlich ausladend in die andere Richtung wanken sehen. Nun hält er einen Döner in der Hand und gerät abbeißend etwas aus dem Gleichgewicht. Er hat also noch irgendwo etwas zu essen bekommen! Ich gehe nachsehen. Tatsächlich muss „Hasir“ in der Maaßenstraße eben gerade noch offen gewesen sein.
Um 3.20 Uhr folgt aufs Tanztheater eine Hörspiel-Episode: Eindeutig singt bereits der erste Vogel. Alle paar Minuten kommen weitere hinzu, 20 Minuten später zwitschert es von allen Seiten. Dann ist es 3.42 Uhr und: Über dem Haus, in dem sich das Restaurant „Amrit“ befindet, beginnt es hell zu werden. Hinter diesen Fassaden, die mich umgeben, schlafen immer noch die Menschen. Aber die nächtliche Stadt beginnt sich schon in eine morgendliche Stadt zu verwandeln. Und der Winterfeldtplatz liegt für einen Moment wie eine Möglichkeit da, von der man weiß, dass sie bald wieder ergriffen werden wird. DIRK KNIPPHALS
(4 bis 5 Uhr: kommenden Freitag)