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Archiv-Artikel

Klimawandel mit Folgen

betr.: „Im Labyrinth der Eiszeit – The Day After Tomorrow“, taz vom 27. 5. 04, „Die Wahl an der Kinokasse“, tazzwei vom 28. 5. 04

Film ist unzweifelhaft Film und die mögliche Klimaentwicklung eine mit ziemlich vielen nach vorn offenen Enden. Womöglich allerdings eine Büchse der Pandora. Das vorhandene Wissen über ökologische Degradationen auf dem Planeten reicht jedoch aus, um daraus ein realistisches Szenario aufzuzeichnen. Die Konsequenzen werden kaum angenehmer sein als in der Hollywood-Produktion.

Aus der Klimageschichte weiß man, mehrfach ist es zu sehr schnellen Temperaturstürzen in Europa gekommen, zuletzt vor 11.000 Jahren. In der Eem-Warmzeit ereignete sich ein regelrechtes Klimaflattern. Die durchschnittliche Temperatur fiel in Europa innerhalb von 20 Jahren um 10 Grad. Kommt der Golfstrom, Europas Klimaheizung, durch tauendes Süßwasser von Grönland zum Erliegen, kann genau dies wieder eintreten. Der Klimawissenschaftler Stephan Rahmsdorf vermutet, frühestens in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts kann das passieren. Untersuchenswert ist überdies der Hinweis José Lutzenbergers, auch weitgehend abgeholzter Amazonasregenwald schwächt möglicherweise den Golfstrom.

Das Bundesumweltministerium geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Temperaturanstieg um zwei Grad in diesem Jahrhundert nicht mehr abzuwenden ist. Bis fast 6 Grad Erhöhung hält der IPCC für maximal denkbar. Dummerweise lagern in den Ozeanen und Tundren gigantische Mengen an Methaneis. Einiges davon kann schon bei geringen Temperaturerhöhungen freigesetzt werden und so schrittweise einen Supertreibhauseffekt entfachen. Erhöhte Welttemperaturen sorgen für Schmelzwasser, das den Golfstrom kappt, was für Europa Eiszeit bedeuten kann und global alles aus den bisherigen Klimaabläufen unkalkulierbar herausgebrochen wird.

Gerade erschienen ist vom Klimaexperten Prof. Mojib Latif das gut verständliche Buch „Hitzerekorde und Jahrhundertflut. Herausforderung Klimawandel“. Das sei ausdrücklich als Lektüre empfohlen. Zu wenig geht er aber auf die Vernetzung der nichtlinearen Atmosphärenprozesse ein. Auch um mehr Zusammenschau der verschiedenen ökologischen Abbruchprozesse muss man sich verstärkt bemühen. In meinem eigenen Band „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ findet man ein Kapitel, wo genau diese Verzahnung wissenschaftsjournalistisch versucht ist. Mit den beiden Lektürequellen kann man besser verstehen, wo die Hollywood-Produktion ein mögliches Szenario aufzeigt und wo nur „Action“ angesagt ist.

MARKO FERST, Gosen

Dass „The Day After Tomorrow“ als Katastrophenfilm wissenschaftliche Erkenntnisse übertreibt und verzerrt, ist sicherlich richtig, genau über diese Erkenntnisse scheint jedoch auch der Verfasser des Artikels erschreckend schlecht informiert zu sein. So heißt es darin, die Wissenschaft sei angesichts des prognostizierten Klimawandels gespalten. Dies ist aber keineswegs der Fall. Zwar sind die genauen Folgen, insbesondere die lokalen Auswirkungen, nicht genau quantifizierbar, trotzdem besteht international große Einigkeit, dass es einen vom Menschen verursachten Klimawandel gibt, der schwer wiegende Konsequenzen für das globale Ökosystem haben wird und bereits hat. Der letzte IPCC-Bericht, an dem die renommiertesten Klimaforscher der Welt mitgewirkt haben, macht dies deutlich.

Der im taz-Artikel erwähnte Klima-Skeptiker Prof. Patrick Michaels ist alles andere als ein unabhängiger Forscher, lässt er doch seine Publikationen von Industrieunternehmen wie Western Fuels, Cyprus Minerals und der deutschen Kohleindustrie finanzieren. Insbesondere von der taz erwarte ich angesichts dieses ernsten Themas einen seriösen Journalismus, anstatt unhinterfragt Lobbyisten zu zitieren. SEBASTIAN BATHIANY, Lüneburg