: Schily pusht Union liberaler Juden
Innenminister besucht Festakt zum 75. Jubiläum einer Berliner Konferenz der Weltunion für progressives Judentum. Jetzt nähert sich auch der Zentralrat vorsichtig dem deutschen Verband der liberalen Juden an. Der galt ihm bisher als Konkurrenz
aus Berlin PHILIPP GESSLER
So wird Otto Schily selten gefeiert. Das Klatschen vor der Rede des Bundesinnenministers ist so heftig, dass er sich noch vor dem ersten Satz steif verbeugt. Es ist ein Heimspiel hier im Jüdischen Gemeindezentrum. Schily wertet mehrere hundert liberale Juden auf, die sich selbst feiern.
Dabei ist der Anlass zum Feiern eher künstlich. Die Weltunion für progressives Judentum gedenkt ihrer ersten Berliner Konferenz vor 75 Jahren. Damals traf man sich im früheren Preußischen Herrenhaus, dem heutigen Bundesratsgebäude. An diese große Zeit will die World Union anknüpfen. Zugleich will die US-amerikanisch geprägte World Union ihren hiesigen Zweig, die Union liberaler Juden in Deutschland, mit der Feier und dem Besuch Schilys pushen.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist, obwohl eigentlich nur politische Vertretung von 83 jüdischen Gemeinden, konservativ-orthodox geprägt. Er fürchtet die Konkurrenz der deutschen „Union“, sieht in ihren 13 Gemeinden den Kern einer Spaltung der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Deshalb vermeidet der Zentralrat unter Paul Spiegel den direkten Kontakt mit der „Union“, wo es geht. Briefe der liberalen Juden blieben bisher unbeantwortet.
Die Bundesregierung dagegen, allen voran der für Religion zuständige Minister Schily, fördert die „Union“ – nicht zuletzt, weil das liberale Judentum in den USA recht einflussreich sei und viele liberale jüdische Gemeinden im Kanzler-Heimatland Niedersachsen lägen, so Kenner der Szene. Von großer Bedeutung ist auch der gestern vom Bundesrat gebilligte Staatsvertrag des Zentralrats mit der Regierung: Darin werden die Bundesmittel für den Zentralrat auf 3 Millionen Euro im Jahr verdreifacht – jedoch mit der Vorgabe, dies Geld für die ganze jüdische Gemeinschaft einzusetzen, also auch für die „Union“.
Die Regierung will sich nicht gern direkt in diesen Streit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft einmischen – aber unterstützte den Festakt, die Jahrestagung der „Union“ und ihre Integrationsarbeit zugunsten ihrer vielen russischsprachigen Gemeindemitglieder finanziell.
Und der Zentralrat bewegt sich: Sein Geschäftsführer las ein Grußwort Spiegels vor. Zwar schrieb er, der Zentralrat sei die „Interessenvertretung der jüdischem Gemeinden in Deutschland“. Andererseits betonte Spiegel den Pluralismus des Judentums in Deutschland und wertete das Wachstum der liberalen Strömung als „positives Zeichen“. Er sei „zuversichtlich, dass wir hinsichtlich der institutionellen Umsetzung dieses pluralistischen Anspruchs in der gemeinsamen Vertretung der Juden in Deutschland nach Aufklärung sachlicher Missverständnisse einen gemeinsamen Konsens finden“. Zentralrat und „Union“ scheinen sich anzunähern.