Die Spur zu „Irrtum“ und Lüge

Jetzt muss CIA-Chef Tenet den Sündenbock abgeben. Aber: Die Fälschung der angeblichen Beweise für irakische Uran-Käufe im Niger war seit März 2002 ranghohen Stellen der Bush-Administration bekannt

Erkenntnisse wurden der Öffentlichkeit vor allem auf Druck von Vizepräsident Dick Cheney verschwiegen

GENF taz ■ Unter dem Druck bohrender Fragen von Medien und aus dem US-Kongress brach letzte Woche eine der wesentlichen Rechtfertigungen der Regierungen in Washington und London für den Krieg gegen Irak endgültig zusammen. Die Bush-Administration gab zu, dass die vom Präsidenten Ende Januar in seiner Rede an die Nation aufgestellte Behauptung über irakische Ankäufe atomwaffenwähigen Urans im Niger ein „Irrtum“ war. Bushs Behauptung beruhte – wie die „Internationale Atomenergie Organisation“ (IAEO) bereits im März öffentlich festgestellt hatte – auf „plump gefälschten Dokumenten“.

Tatsächlich ist die Tatsache dieser Fälschung in Washington bereits seit März 2002 bestens bekannt. Und zwar nicht nur CIA-Direktor George Tenet, der jetzt den Sündenbock spielen soll, sondern auch den Büros von Vizepräsident Dick Cheney und Außenminister Colin Powell sowie im Nationalen Sicherheitsrat der USA. Das ergibt sich aus übereinstimmenden Aussagen des früheren Nachrichtenoffiziers in der Aufklärungs- und Forschungsabteilung des State Department, Greg Thielmann, sowie von MitarbeiterInnen des CIA und im Büro Cheney, die jedoch nicht namentlich genannt werden wollen.

Bereits Ende 2001 stießen italienische Geheimdienstagenten in Westafrika auf die vermeintlichen Beweisdokumente – darunter ein Kaufvertrag mit der Unterschrift von Nigers Energieminister. Roms Agenten gaben die Unterlagen ihren Kollegen vom britischen Auslandsgeheimdienst MI 6 weiter, der sie nach Washington weiterreichte. Dort beauftragte das Büro von Vizepräsident Cheney die CIA mit einer Untersuchung der Dokumente auf ihre Echtheit. Zu diesem Zweck entsandte der CIA in der letzten Februarwoche 2002 den ehemaligen US-Botschafter in Niger, Joseph Wilson, an seine frühere Wirkungsstätte. Nach einwöchiger Untersuchung kam Wilson aus einer Reihe von Gründen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Dokumente gefälscht waren. Unter anderem hatte Nigers Energieminister, dessen Unterschrift den Vertrag zierte, seinen Posten bereits mehrere Jahre vor dem angeblichen Kaufdatum verlassen. Wilson legte seinen Untersuchungsbericht seinem Nachfolger als Botschafter vor und unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Washington Anfang März der CIA und dem Außenministerium. Unabhängig von Wilson führten das State Department sowie die CIA (Abteilung zur Terrorismusbekämpfung) im Februar/März 2002 ihre eigenen Untersuchungen durch – und kamen zu dem gleichen Ergebnis. CIA-Direktor Tenet, die Büros von Cheney und Powell sowie der Nationale Sicherheitsrat wurden im Lauf des März 2002 über die Untersuchungsergebnisse informiert.

Gegenüber der Öffentlichkeit wurden die Erkenntnisse vor allem auf Druck von Vizepräsident Cheney verschwiegen. Weit entschiedener und häufiger als andere Mitglieder der Bush-Administration behauptete Cheney ab Juli 2002 angebliche Atomwaffenbestrebungen Iraks. Noch nicht öffentlich aufgeklärt ist, wann und von wem Bush die Information erhielt, dass die Niger-Dokumente gefälscht waren. Gesichert ist, dass Tenet die Behauptung über den angeblichen Urankauf aus dem Manuskript einer Rede strich, die Bush im Oktober in Cincinnati hielt.

Auch alle anderen seit Sommer 2002 aufgestellten konkreten Behauptungen der Regierungen Bush und Blair über Rüstungs- und Beschaffungsprogramme für Massenvernichtungswaffen, die Irak angeblich seit dem Abzug der UNO-Rüstungsinspektoren (Unscom) im Dezember 1998 neu aufgenommen haben sollte, haben sich ausnahmslos als falsch erwiesen. Die hierfür von Washington und London vorgelegten Beweise und Geheimdiensterkentnisse waren ebenfalls gefälscht oder nicht beweiskräftig. Zudem wurden alle Behauptungen von den UNO-Inspektoren der Unmovik vor Ort im Irak überprüft und eindeutig widerlegt.

ANDREAS ZUMACH