„Bedrückende Gesamtsituation“

Der Beirat des Bremer Abschiebegewahrsams legt einen ersten Tätigkeitsbericht vor: Sicherungs- und Sauberkeitsaspekte dominieren. Menschenwürdiger Aufenthalt und Betreuung stehen hinten an. Aber: Erste Verbesserungen in Sicht

„Wir sprechen uns dringend für eine grundsätzliche Neugestaltung aus“

bremen taz ■ Im Bremer Abschiebegewahrsam hat bis Ende 2003 so gut wie nichts gestimmt. „Der Sicherungs- und Sauberkeitsaspekt scheint ein einseitiges Übergewicht gegenüber den Aspekten des menschenwürdigen Aufenthalts und der Betreuung zu haben.“ Dies ist das Fazit eines ersten Tätigkeitsberichts des „Beirats für den Abschiebegewahrsam“, der im Oktober 2002 erstmals berufen wurde.

Auf zwölf eng bedruckten Seiten kritisiert das vom Innensenator berufene ehrenamtliche Gremium so gut wie alles in dem Neubau am Polizeipräsidium, der zugleich den Abschiebeknast und den Polizeigewahrsam beherbergt. In dem Gebäude lägen bauliche Gegebenheiten unterhalb aller Gefängnis-Standards, so der Bericht. Auch mangele es an Personal auf der zuständigen Wache im Haus, die Qualität der Gefangenenbetreuung lasse zu wünschen übrig. Bei vier Stunden externer Betreuung könne von Sozialarbeit kaum gesprochen werden. Gut scheint da vor allem, dass fast 90 Prozent der Abschiebegefangenen nach weniger als vier Wochen den Gewahrsam wieder verlassen haben. Und noch etwas ist zu loben: Dass der Beirat bei seinen Besuchen mit Bediensteten und Gefangenen offen sprechen konnte – sofern Sprachbarrieren überwunden wurden.

Was sich hinter Glasbausteinen und Stacheldraht im Abschiebegewahrsam abspielt, war bislang nur wenigen Insidern zugänglich, Polizeibeamten oder Polizeiärzten zumeist. Unabhängig Einlass hatten höchstens ehrenamtliche MitarbeiterInnen der Gruppe „grenzenlos“. Deren Kritik an Missständen im Abschiebegewahrsam wird nun durch den Bericht des Beirats bestätigt.

Das bislang unveröffentlichte Dokument ist ein Novum. Erst im Dezember 2001 war das insbesondere von den Grünen lange geforderte Gesetz über den Abschiebegewahrsam verabschiedet worden, im Oktober 2002 berief der zuständige Innensenator die fünf Mitglieder des Beirats: Vertreter von Kirchen, Ausländergruppen, Ärztekammer und Wohlfahrtsverbänden. Ihr Bericht behandelt die Zeit bis bis zum Jahresbeginn 2004.

Wiederkehrender Kritikpunkt ist der Knastbau an sich, der „schon im Außenbereich ein Bild bietet, das mit humanitären Ansprüchen nicht vereinbar ist.“ Lediglich ein auf die stacheldrahtbewehrte Hofmauer gemaltes Fußballtor lockere die Betonwände auf – Tristesse, die auch im Innern eine Entsprechung finde: „Bis unter die Zellendecken geflieste Wände, in die Licht nur durch Glasbausteine dringen kann.“ Erschwert werde dies durch öfter überheizte Zellen und die wiederholt als mangelhaft kritisierte Wartung und „erhebliche Verschmutzung“ der Lüftungsanlage.

„Wir sprechen uns dringend für eine grundsätzliche bauliche Neugestaltung aus und sind überzeugt davon, dass erst in einem veränderten baulichen Ambiente auch veränderte Verhaltensweisen der Menschen im Gewahrsam erwartet werden können“, schließt der Beirat. Darüber will er noch in diesem Jahr mit Innensenator Röwekamp sprechen, denn: „Das derzeit Vorfindliche kann nur Gleichgültigkeit und Abwehr hervorrufen.“ Dass die Gefangenen aus Sicherheitsgründen nur Plastikbesteck und Geschirr erhielten, sei kaum nachzuvollziehen. Sogar in Gerichtspsychiatrie und regulären Vollzugsanstalten werde von Geschirr und mit Metallbesteck gegessen. Polizeiliche Abwehrargumente, etwa gegen eine Kochplatte, die „doch sofort wieder kaputt“ sei, ließen sich durch die gute Erfahrung mit einer Mikrowelle im Gewahrsam nicht bestätigen. Diese habe über vier Monate gut funktioniert – obwohl sie stark beansprucht wurde. Auch hier verbirgt sich Kritik: Die anhaltende Gefangenenklage über unbekömmliche deutsche Kost und Schweinefleisch.

„Wir bohren dicke Bretter“ beschreibt der Sprecher des Beirats, Pastor Jürgen Moroff, die Lage. Doch sei die Leitung des Gewahrsams offen für Gespräche und hilfsbereit. Seit einer Weile gebe es Sportmöglichkeiten in einer Doppelzelle. Auch dass ab Juli eine Sozialarbeiterin 20 Stunden pro Woche komme, sei hilfreich. Zudem werde der Beirat bei der Einarbeitung von sieben neu angestellten Kräften im Gewahrsam gehört.

Für die Gruppe „grenzenlos“ stellt auch Ghislaine Valter Veränderungen fest. Die Dialogbereitschaft der Gewahrsamsleitung sei groß. Zugleich begrüßte sie das neue Angebot einer unabhängigen Rechtsberatung durch JuristInnen der Universität. Nicht akzeptabel sei jedoch das Fehlen eines Telefons, auf dem Gefangene Anrufe entgegennehmen können. „Ich muss immer die private Handy-Nummer von Gefangenen wählen, wenn es etwas zu klären gibt. So geht das eigentlich nicht.“ ede