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Archiv-Artikel

So gewinnt keiner

Die Intifada ist mit einem Unentschieden zu Ende. Wenn sich die Lebensbedingungen der Palästinenser aber nicht bessern, wird die Feuerpause im Nahen Osten nicht halten

Es ist den Palästinensern nicht gelungen, ihren Willen gegenüber Israel durchzusetzen

Ob die israelisch-palästinensische Feuerpause – die Hudna – länger als die beschlossenen drei Monate hält, hängt völlig von der Stimmung der palästinensischen Bevölkerung ab. Wenn sie die Hudna will, wird sie eingehalten. Wenn sie die Hudna aber nicht will, wird sie gebrochen. Die Hamas möchte die allgemeine Sympathie durch das Brechen der populären Hudna nicht verlieren. Im Gegenteil, sie möchte eine größere Rolle im zukünftigen palästinensischen Staat spielen. Doch wenn die Bevölkerung zu der Folgerung kommt, dass die Hudna keine Früchte gebracht hat, dann wird die Hamas die Erste sein, die sie brechen wird.

Wovon hängt dies ab? Wenn die Hudna dem Volk einen größeren politischen Fortschritt und eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität des Einzelnen mit sich bringt, wird sie populär und wird Wurzeln fassen.

Es liegt in der Logik solcher Terrororganisationen. Sie brauchen öffentliche Unterstützung, ohne diese können sie nicht operieren. Die Hamas braucht Geld, Propagandamittel, Verstecke und neue Mitglieder. Für eine Organisation wie die Hamas, die auch politische und soziale Ambitionen hat, ist Popularität doppelt wichtig. So lange die Hudna populär ist, wird sie also an ihr festhalten.

Das ist in erster Linie ein Test für Abu-Mazen. Was kann er tun, um die Hudna populär zu machen? Er muss die großzügige Freilassung palästinensischer Gefangener sicherstellen, die Verbesserung der verheerenden Lebensbedingungen; den Rückzug der israelischen Armee aus den Städten und Dörfern; die Entfernung der Checkpoints, die das Leben der Palästinenser unerträglich machen; die Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit, um zu den Stadtzentren, den Arbeitsplätzen, Krankenhäusern, Universitäten zu gelangen; eine Beendigung der „gezielten Tötungen“, Deportationen, Zerstörung von Häusern und Fruchtbäumen; das Einfrieren der Bautätigkeit in den Siedlungen und einen Stopp des „Zaun“-Baus, der einen großen Teil des palästinensischen Landes frisst.

Sollte es in diesen Dingen keinen Fortschritt geben, wird die Hudna zusammenbrechen. Sollte dies geschehen, werden das israelische Militär und das politische Establishment dem keine Tränen nachweinen. Dort war die Hudna ziemlich zähneknirschend begrüßt worden, als ob sie von irgendeiner feindlichen Macht auferlegt worden sei.

Tatsächlich kam sie unter direktem amerikanischem Druck zustande. Die israelischen Medien, die inzwischen alle ein Propagandainstrument des „Sicherheitsapparats“ geworden sind, bedachten die Hudna einstimmig, wie durch einen Befehl, mit Kommentaren wie: „Die hat doch keine Chance die wird nicht lange halten“, einer Prophezeiung, die sich selbst erfüllen kann.

Das Armeekommando war gegen den Waffenstillstand. Wie immer erklärten die Offiziere, dass der Sieg nur noch hinter der nächsten Ecke liege, dass nur noch ein letzter entscheidender Schlag nötig sei.

Genau dies, sogar mit denselben Worten, wurde von den französischen Generälen gesagt, die gegen die Beendigung des Krieges in Algerien waren, und von den amerikanischen Generälen, als Nixon in Vietnam aufgab. Dies wurde von den russischen Generälen in Afghanistan gesagt, und nun sagen sie dasselbe in Tschetschenien. Sie sind immer gerade dabei, den Sieg zu gewinnen. Sie benötigen immer nur noch einen einzigen Schlag. Und es sind immer die korrupten Politiker, die den Dolch in ihren Rücken stoßen und so die Niederlage verursachen.

Die Wahrheit aber ist, dass die Armeekommandeure eine klägliche Niederlage erlitten haben. Sie hatten viele kleine Erfolge, aber sie haben ihr Hauptziel verfehlt: den Willen des palästinensischen Volkes zu brechen. An die Stelle eines jeden „lokalen Führers“, der gezielt liquidiert wurde, traten zwei neue. Die „terroristische Infrastruktur“ wurde nicht zerstört, weil es kein Mittel gibt, sie zu zerstören.

Sie besteht nämlich nicht aus Waffenwerkstätten und Führern, sondern aus der allgemeinen Unterstützung und der Zahl der Jugendlichen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren und zu opfern.

Nach 1.000 Tagen wurde trotz des Tötens und der Zerstörung der palästinensische Widerstandsgeist nicht gebrochen, die Kampffähigkeit nicht zerstört. Das palästinensische Volk hat die Forderungen, die es in Camp David und Taba zum Ausdruck brachte, nicht aufgegeben. Zu Beginn dieser Intifada gab es ein paar Freiwillige für Selbstmordattentate; zuletzt standen hunderte bereit.

Auch die Palästinenser haben nicht gewonnen. Sie haben zwar bewiesen, dass sie nicht auf die Knie gezwungen werden können. Sie haben verhindern können, dass die palästinensische Sache nicht von der Weltagenda gestrichen wurde. Die israelische Wirtschaft ist schwer angeschlagen.

Die Intifada hat Schatten auf das tägliche Leben in Israel geworfen. Viele der Akte, die von Israelis als kriminell betrachtet werden, werden von den Palästinensern als heldenhafte Taten angesehen. Die Zerstörung israelischer Panzer, die Eliminierung eines großen Kontrollpunkts durch einen einzigen Scharfschützen, der Angriff durch ein palästinensisches Kommando, das unter der „Trennungsmauer“ durchkroch: solche Akte haben die Palästinenser mit Stolz erfüllt. Und allein die Tatsache, dass der palästinensische David weiterhin dem mächtigen israelischen Goliath standhält und trotzt, ist in sich selbst schon eine erstaunliche Leistung, die den kommenden Generationen stolz weitergegeben wird.

Doch trotzdem: Es ist es den Palästinensern nicht gelungen, ihren Willen gegenüber Israel durchzusetzen, Genauso wenig, wie es Israel nicht gelungen ist, seinen Willen gegenüber den Palästinensern durchzusetzen. Die Israelis sind, genau wie die Palästinenser, erschöpft. Diese Intifada ist für den augenblicklichen Zeitpunkt – mit einem Unentschieden – zu Ende.

Wenn die Feuerpause scheitert, weint ihr das israelische Militär keine Träne nach

Mosche Jaalon, ein Generalstabschef mit unstillbarer Redelust, hat den Sieg erklärt. Aber am selben Tag haben in einer angesehenen israelischen Meinungsumfrage 73 Prozent der Befragten die Meinung geäußert, dass Israel nicht gewonnen habe, und 33 Prozent sahen sogar die Palästinenser als Sieger an. Das größte Massenblatt des Landes überschrieb eine Geschichte über den Generalstabschef mit den ironischen Worten: „Zu Ihrer Information: Wir haben gewonnen!“

Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt nicht, dass die Hudna eingehalten wird. In der Zwischenzeit ist jeder ohne menschliche Opfer vorübergehende Tag für beide Seiten ein reiner Gewinn.

Und was nun? Wirkliche Verhandlungen? Verhandlungen, die nicht mehr sind als bloße Spiegelfechterei? Bemühungen beider Seiten, den Amerikanern zu gefallen? Amerikanischer Druck auf beide Seiten, um ein paar wirkliche Taten vorzuweisen? Bisher sieht es nicht danach aus, leider. URI AVNERY

Aus dem Englischen von Ellen Rohlfs