Gefräßige Primarschule-Gegner

Eine Gymnasial-Initiative will die Gesamtschul-Szene für den Kampf gegen die Primarschule vereinnahmen. Ein Missverständnis: Denn deren Vertreter fordern eine Schule für alle – und wollen künftig trennschärfer formulieren

Walter Scheuerl von der Gymnasial-Retter-Initiative „Wir wollen lernen“ ist mal wieder ein Coup gelungen. Offenbar ohne Rücksprache mailte er einen Aufruf von Lehrern der Max-Brauer-Schule in der Stadt herum, die aus Protest gegen die geplante Schulreform am 3. März eine Menschenkette um die Alster planen. Nur: Der Aufruf war gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Es handelte sich um eine interne Einladung an die übrigen 37 Gesamtschulen, sich am Dienstag zu einer Besprechung zu treffen.

Doch die Sache zog. Die Zeitungen vermeldeten einen Lehrerprotestmarsch gegen die Primarschule, gar von einem Schulterschluss von Gymnasien und Gesamtschulen war zu lesen.

Doch so war das nicht gemeint, bestätigt Sibylle Marth vom Elternrat der Max-Brauer-Schule. Die Aktion wolle in erster Linie längeres gemeinsames Lernen verfechten. „Die Frage ist, können wir uns dagegen wehren, wenn Scheuerl einfach unsere Beschlüsse auf seine Homepage setzt?“ Man werde am Montag eine Erklärung dazu abgeben.

Auch Pit Katzer, stellvertretender Leiter der Erich-Kästner-Gesamtschule, distanziert sich von dem Aktivisten: „Ich habe Scheuerl gesagt, dass wir entgegengesetzte Pole sind. Wir wollen die Schule für alle. Sie wollen das selektive Schulsystem.“ Der Vorfall sei ein Anlass, künftig „trennschärfer zu formulieren“.

Doch es ist so, dass die Gesamtschulen erhebliche Bauchschmerzen haben. An vielen Standorten ist heute das gemeinsame Lernen von der ersten bis zur 13. Klasse möglich. Künftig sollen aus Gesamtschul-Grundschulabteilungen Primarschulen mit eigenständiger Leitung werden. „Wir wollen nicht in zwei Schulen zerschlagen werden“, sagt Elternrätin Marth. Auch Katzer fürchtet dann Konflikte und Bürokratie. Sollte sich auch noch durchsetzen, was die CDU fordert, eine äußere Leistungsdifferenzierung in Deutsch, Mathe und Englisch ab Klasse 5, fände Katzer die Primarschule gar „schlechter als den Status quo“.

„Es gibt viele nachgeschobene Feinheiten, die erst nach und nach das Ausmaß für uns deutlich machen“, erläutert Marth. So würden aus allen Gesamtschulen ab 2010 Stadtteilschulen mit neuer Schulleitung, während die Gymnasialleitungen blieben. Für Unruhe sorgte auch der jüngste Schulbrief der Senatorin, in der die Rede davon ist, dass für die Stadtteilschule die APO-AS, die Prüfungsordnung der Allgemeinbildenden Schulen maßgeblich sei, in der es zum Beispiel noch das Sitzenbleiben gibt, das die Gesamtschulprüfungsordnung nicht kennt. Hier konnte Behördensprecherin Annegret Witt-Bartehl aufklären: Es sei „schlicht ein Fehler unterlaufen“, sagte sie, der heute in einem neuen Brief korrigiert werde.

Doch im Kernkonflikt – Eigenständigkeit der Primarschule – ist die Sache festgefahren. Christa Goetsch (GAL) will verhindern, dass sich Langformen aus Primarschulen und Gymnasien bilden. Pit Katzer spricht von „polit-taktischen Gründen“.

Nachdenkliche Töne kamen in diesen Tagen von Dora Heyenn. In einem Positionspapier spricht die Fraktionschefin der Linkspartei von einen „Schul-Klassenkampf“ in der Stadt, in dem eine finanzstarke Minderheit ihre Privilegien verteidige. Man müsse „aufpassen, dass wir nicht mit der Kritik aus der rechten Ecke gemeinsame Sache machen“, schreibt Heyenn. Nach der Verschiebung der Primarschule aufs Wahljahr 2011 sieht sie die Gefahr, dass diese Reform gar nicht mehr kommt. KAIJA KUTTER