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Archiv-Artikel

Ein neues Politikfeld mit viel Gewicht

Nach der grünen Verbraucherministerin beschäftigt sich jetzt auch die SPD-Fraktion mit der Volksseuche Fettleibigkeit

BERLIN taz ■ Die Politik entdeckt ein neues Thema: Übergewicht und Fettleibigkeit. Erst in der vergangenen Woche startete Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) eine Kampagne gegen Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen, jetzt zog auch die SPD-Bundestagsfraktion nach. Um Ausmaß und Lösungen dieser „globalen Epidemie“ (WHO) zu diskutieren, lud sie mit der französischen Beraterfirma Cerip-Santé Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Versicherungen und Medien ein.

In den USA, wo jährlich 300.000 Bürger an den Folgen ihres Übergewichtes sterben, wird das Thema schon lange diskutiert. Aber nicht nur die Vereinigten Staaten haben mit der Fettleibigkeit ein Problem. Laut Weltgesundsorganisation (WHO) sind weltweit eine Milliarde Menschen übergewichtig, in Europa gelten fast 30 Prozent der Erwachsenen als krankhaft fettleibig. Und in Deutschland verursacht Fehlernährung jährlich geschätzte 70 Milliarden Euro.

Trotzdem gibt es bei der Frage nach der richtigen Vorbeugung wenig gesicherte Erkenntnisse. Die hohe Zahl der betroffenen oder gefährdeten Menschen ist zwar bekannt und auch die Folgen von psychischer Belastung über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Diabetes.

Doch vor allem die Frage nach der richtigen Prävention – Diäten, Essverhalten und die Cholesterinfrage – konnte nicht einheitlich beantwortet werden. Andreas Pfeifer, Leiter der Abteilung Ernährungsmedizin an der Universitätsklinik Berlin-Steglitz, versteht deshalb die Unwissenheit in der Bevölkerung: „Angefangen bei Brigitte redet jeder beim Thema Ernährung mit.“ Das Filtern der richtigen Aussagen sei eine der Hauptaufgaben, wenn Fettleibigkeit erfolgreich bekämpft werden solle.

Doch auch wie die richtigen Aussagen zur Behandlung der Zivilisationskrankheit vermittelt werden sollen, war strittig. Für Silke Yeomans, Leiterin der Medizinredaktion des Bayerischen Rundfunks, ist die Diskussion über richtige Ernährung überflüssig, solange sie in den Fachgremien bleibt: „Die Programme sind für den Eimer, wenn wir es nicht schaffen, die Leute zu mobilisieren.“ Nicht nur die Zahl der Übergewichtigen sei groß, sondern auch die Wissenslücken in der Bevölkerung, so ihre Kollegin Maria Lange-Ernst. Zudem werde das Problem von Betroffenen und Entscheidern oft gemieden – schließlich seien sie häufig selbst betroffen.

Ganz besonders unangenehm ist das Thema Übergewicht den Kindern und Jugendlichen, stellt der Ernährungswissenschaftler Pfeiffer fest. „Kinder sind nicht ansprechbar in Sachen gesundes Essen.“ Doch gerade diese Altersgruppe müsse sensibilisiert werden, gilt doch in Deutschland jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche als übergewichtig. Allerdings sei das nicht einfach, so die Medizin-Journalistin Yeomans. „Wir wissen nicht, wie wir das lösen sollen.“ Auch Pfeiffer bestätigt aus eigener Erfahrung: „Kinder essen, was schick ist und was schmeckt – alles andere ist ihnen egal.“ MAX HÄGLER