: Dry Sex und Sugar Daddies
aus Johannesburg MARTINA SCHWIKOWSKI
Ihr rot gefärbter Kurzhaarschnitt schimmert in pomadigem Glanz. Der rosa-gold gemusterte Schlips hängt auf dem schwarzen Oberhemd. Shirley Sephesu trägt dazu schwarze Jeans, Plateauschuhe und einen alten Wintermantel aus Fell. Die 24-jährige Studentin grinst und nickt: „Ja, dry sex, das gibt es wirklich.“ Und es ist ihr auch schon passiert? „Mein Freund hatte mir beim Geschlechtsverkehr gesagt, ich solle mich mit einem Handtuch trocken wischen“, kichert sie. Und: „Die Männer sagen dann, wir wollen nicht in einem See schwimmen“, ergänzt Kollegin Matapelo Magotsi, die wie Shirley als Beraterin für Gesundheits- und Sexualfragen im Gemeindezentrum in Mabopane bei Pretoria arbeitet. Die Frauenrunde bricht in schallendes Gelächter aus. Worte in Tswana und Sotho fliegen hin und her. Eines wird klar: Shirley hat den Wunsch nicht befolgt und wechselte lieber den Freund. Aber für viele Frauen ist ihr Privatleben nicht so einfach änderbar.
Mit der hohen Zahl der HI-Virus-Infizierten in Südafrika wird eine offenere Sexualaufklärung immer wichtiger. Praktiken wie „dry sex“ basieren oft auf Unkenntnis. Auch sind viele Mythen um das Thema Sex in den Köpfen beider Geschlechter vorhanden und tragen ebenfalls zu Verhaltensweisen bei, die den Kampf gegen die Aidskrankheit erschweren. Der Glaube mancher Aidskranken, wer mit einer Jungfrau schläft, wird von der tödlichen Krankheit kuriert, ließe sich einfach aufklären, wenn informierende Gespräche über Geschlechtsverkehr offener stattfinden würden. Aber die Ursachen für Verhaltensweisen sind tief in dieser Gesellschaft verwurzelt, in der das Thema Sex oft noch ein Tabu ist und die Kommunikation darüber auch in der Partnerschaft nicht stattfindet. Umdenken ist ein langwieriger Prozess.
„Wenn Frauen beim Geschlechtsverkehr feucht sind, denken Männer, sie gehen häufig fremd“, ist eine der Erklärungen für die Vorliebe mancher Männer für „dry sex“. Diese Praxis erhöht das Risiko der Ansteckung mit dem tödlichen Aidsvirus. Doch die direkten Auswirkungen sind statistisch schwer zu belegen, sagt Nicola Christerfides, Direktorin des Gesundheitsprojekts für Frauen, einer Nichtregierungsorganisation in Johannesburg. „Diese Art von Sex kommt zwar vor, ist aber nicht unbedingt verbreitet. Oftmals hören Frauen auch nur davon und werden alles tun, um ihren Mann zu halten, da sie auf ihn materiell angewiesen sind. Packpapier, Watte, Kräuter oder scharfe Waschlösungen sowie wieder verwertbare „Steine“ aus einem Desinfektionsmittel für Schleimhäute sind Methoden, um für den Mann trocken zu bleiben. „Die Frau ist dazu erzogen worden, dem Mann Vergnügen zu bereiten. Dafür hat sie emotionale und materielle Vorteile.“ Dieses Rollenverständnis gilt nicht nur in den ärmeren Schichten. Auch gut ausgebildete Frauen, die nicht auf ihren Mann finanziell angewiesen sind, brechen oft nicht aus problematischen Beziehungen aus.
Misstrauen bestimmt häufig die Partnerschaft, bei Männern und Frauen. „Viele Männer schlafen mit anderen Frauen“, fand Daphney Nozizwe Conco, Programmleiterin des Frauengesundheitsprojektes, in Gesprächen heraus. „In engen Wohnhütten mit vielen Kindern gibt es oft keine Privatsphäre, der Mann geht für sein Vergnügen in die Kneipe.“ Wenn die Frau allerdings auf „safe sex“ mit einem Kondom besteht, verdächtigt sie der Mann seinerseits häufig des Fremdgehens. Doch 90 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung wüssten um die Risiken von Aids.
Aufklärung scheint also nicht das Problem, aber die Aidsgefahr wird oft nicht als das „eigene Problem“ betrachtet. Oder sie wird schlicht ignoriert. Es gibt auch fatalistische und zynische Einstellungen nach dem Motto: „Ich will nicht alleine sterben.“ Jeder in der Nachbarschaft weiß, wenn jemand an Aids gestorben ist: Dann, wenn als Todesursache Tuberkulose oder Lungenentzündung kolportiert wird. Särge finden in einigen Gegenden kaum noch Platz auf den überfüllten Friedhöfen. Sich jedoch einem Aidstest zu unterziehen und gar dem Partner das Ergebnis mitzuteilen, so es positiv ist, ist überwiegend immer noch ein Tabu. Das Stigma, an Aids erkrankt zu sein, macht Angst.
Viele Frauen glauben auch, Männer brauchten nun einmal andere Frauen – „das ist unsere Kultur“. „Wir bilden unsere Kultur. Sie ist stark durch Kolonialisierung und Migration in die Städte beeinflusst worden“, hält Nozizwe Conco dem entgegen. Das Apartheid-System schrieb beispielsweise dem schwarzen Mann, der in Johannesburgs Minen schuftet, vor, in Männerheimen zu wohnen. Seine Familie auf dem Dorf war ausgeschlossen, ein zweites Leben in der Stadt wurde zur Regel. Das gilt vielfach heute noch. „Aber auch der weiße reiche Minenmagnat hatte oder hat häufig mehrere Frauen – Polygamie ist überall mit Geld, Macht und Prestige verbunden“, glaubt Conco.
Daraus haben sich später neue Strukturen und Denkweisen entwickelt. Und je mobiler die Gesellschaft, desto zugänglicher seien die Menschen für andere Partner, und damit steigt das Aidsrisiko. Dieses Risisko ist zwar bei den Ärmeren erheblich größer als bei den Wohlhabenden. Armut allein jedoch aber dafür verantwortlich zu machen greife zu kurz, sagt die Programmleiterin des Frauengesundheitsprojekts. In Südafrika klafft die Lücke zwischen Arm und Reich immer stärker auseinander, und auch unter der weißen Bevölkerung breitet sich das HI-Virus aus.
Die Jugend ist meistens eher bereit, alte Werte und geformte Stereotype zu überdenken. Doch da gibt es auch noch das Phänomen der „sugar daddies“, die es auf junge Mädchen abgesehen haben. „Du brauchst bloß mittags an der Schule vorbeikommen und dir die parkenden BMWs anschauen“, sagt Shirley. Männer ab Mitte zwanzig und ältere, meistens verheiratet, holen ihre Freundinnen ab. Geschenke machen alles möglich: Kosmetik, modische Kleidung und andere begehrte Artikel gewährleisten Sex bei jungen Frauen, die aus bitterarmen Haushalten stammen. Und Mädchen in der Altersgruppe zwischen 15 und 19 Jahren sind am stärksten dem Risiko der Virusinfektion ausgesetzt. Da bleibt die ABC-Formel vieler Aidskampagnen – abstain (enthalten), be faithful (treu sein) und condomise (Kondom benutzen) häufig nur ein guter Rat.
Die drei Männer in Shirleys Frauengruppe im Gemeindezentrum haben etwas dazugelernt. „Ich wollte mehr über Aids erfahren, um bei Nachbarn zu helfen“, meint Stephen Mogapi. Doch bei der Diskussion um „dry sex“ erfuhr er von den Schmerzen für die Frau und den Risiken, das Virus zu übertragen. „Wir Männer übernehmen einfach solche Praktiken, weil wir sie nicht in Frage stellen. So sind wir nämlich erzogen worden: Die Frau muss den Mann respektieren und nicht führen.“ Oft höre er auch, es gebe mehr Frauen als Männer auf der Welt, also haben wir das Recht, mehrere zu nehmen. Und wer sich Lobola (den Brautpreis) leisten kann, zahlt. „Das Bewusstsein bei uns muss sich ändern“, sagt er. In Mabopane entsteht jetzt die erste Gruppe, in der von Mann zu Mann geredet werden soll.
„Lobola“, sagt Shirley später unter lautem Protest ihrer Kolleginnen, „das kommt für mich nicht in Frage. Warum soll mich jemand kaufen?“ Doch oft nur noch symbolisch gehandhabte Traditionen existieren weiter und sind nach westlichem Muster modernisiert: Lobola und kirchliche Heirat schließen sich da überhaupt nicht aus. Shirley ist eben eher die Ausnahme als die Regel.