Gestorben vorm Kino

„So lasst mich doch leben!“: Helmut Rahns wieder aufgelegte Memoiren „Mein Hobby: Tore schießen“

Helmut Rahns allerletzten Treffer bejubeln wir noch heute. Indem der legendäre Doppel-Torschütze des deutschen WM-Siegs von 1954 im letzten Sommer starb, entzog sich Rahn dem aufgeregten Rummel um Sönke Wortmanns offiziösen „Wunder“-Film. Zu gerne hätte Regisseur Wortmann den alten „Boss“ bei der Premiere seines „Wir sind wieder wer“-Streifens vorgeführt. Doch Rahn – seit Jahren medienallergisch in einem Essen-Frohnhausener Wohnquartier einsiedelnd – starb mit 73, bevor man ihn in die „Lichtburg“ hätte verschleppen können.

Auch Helmut Rahns jetzt posthum wieder aufgelegter Erinnerungsband „Mein Hobby: Tore schießen“ (dva, 15,90 Euro) wirkt wie eine Distanzierungsversuch des 3:2-Schützen von dem multimedialen Pathos, das gegenwärtig pünktlich zum 50. Jubiläum rund um das WM-Endspiel von 1954 zwischen Buchdeckel und in DVD-Sonder-Edition gepresst wird. Das 1959 erstmals im Münchener Copress-Verlag erschienene Büchlein hat Rahn wohl kaum selbst verfasst. Obwohl ein offenbar ortsunkundiger Schreiber (Mehrmals ist von „Mühlheim“ die Rede) hier auf 220 Seiten über Rahns Karriere im Ruhrgebiet berichtet, macht die Lektüre Spaß, weil eben weitgehend verzichtet wird auf Sentimentalität (wie in Fritz Walters ebenfalls wieder erhältlichem Buch „3:2“) oder Wirtschaftswunder-Rhetorik (siehe Guido Knopps Enthüllungs-Schrift „Das Wunder von Bern“).

Natürlich ist „Mein Hobby: Tore schießen“ ein Anekdoten-Buch. Rahn-Fans erfahren: Wie Mutti Rahn den jungen Helmut aus dem zerbomten Essen nach Bayern schickte („Nichts wie raus mit Helmut aus dem Kohlenpott“). Wie Helmut nach dem Krieg mit Sonntagsschuhen und Torriecher bei Altenessen 1912 gegen Hessler 06 natürlich einen 0:6-Rückstand noch in ein 7:6-Sieg umdrehte. Wie Zechen-Azubi Helmut in 800 Meter Tiefe einen schlechten Kumpel abgab. Wie Helmut einmal in „Mühlheim“ als LKW-Fahrer mit einer S-Bahn zusammenstieß.

Nüchtern beschreibt Rahn seinen Aufstieg zum besten Stürmer der 1950er Jahre, zum Meister und Pokalsieger bei Rot-Weiß Essen. Liebevoll streicht er die Stärke heute vergessener RWE-Spieler wie „Penny“ Islacker heraus. Die Schilderung des 3:2 im Finale gegen WM-Ungarn mag ihm nicht so recht gelingen. Die Erinnerung setzte erst mit dem penetranten Torjubel der Mitspieler ein: „‘Lasst mich leben!‘, jammerte ich. ‚So lasst mich doch leben!‘“ Der übertriebene Trubel um sein Siegtor war Helmut Rahn offenbar von Anfang an zuwider. MARTIN TEIGELER