: Keine Gefahr durch forensische Kliniken
In der Öffentlichkeit gelten Nordrhein-Westfalens forensische Kliniken als Sicherheitsrisiko – dabei sinkt die Zahl der Fluchtversuche seit Jahren kontinuierlich. Dramatische Kapazitätsengpässe erfordern den Neubau weiterer Standorte
DÜSSELDORF taz ■ Die Sicherheit der forensischen Kliniken hat sich in den letzten Jahren verbessert: Die Zahl der Entweichungen aus den nordrhein-westfälischen Kliniken ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums von 668 im Jahre 1990 auf 200 im Jahre 2002 zurückgegangen. Für das erste Quartal 2004 wurden nur noch 42 Entweichungen gemeldet. Dabei seien in der Statistik auch Verspätungen von Freigängern erfasst, sagt Ministeriumssprecher Kai von Schönebeck. „Sieben Vollzugs-Patienten sind flüchtig.“ Von einer Gefährdung der Anwohner könne aber nicht gesprochen werden.
In den landesweit sieben forensischen Kliniken und in den Allgemeinpsychiatrien sind nach derzeitigem Stand 1959 Patienten untergebracht. Der Landschaftsverband Rheinland (LWR) als größter Klinikbetreiber betreut dabei 1014, der Landschaftsverband-Westfalen-Lippe (LWL) 910 Patienten. Der Rest verteilt sich auf freie Träger. Der Anteil von psychisch kranken Straftätern und Drogenpatienten ist dabei in etwa ausgeglichen. Eine unterschiedliche Beurteilung von Sexualstraftätern oder Drogenpatienten gebe es dabei nicht. „Bei den Patienten wird eine individualisierte Gefahrenprognose abgegeben, danach werde über eventuelle Lockerungen im Vollzug gesprochen“, sagt Meinolf Noecker. Der Diplom-Psychologe ist Mitglied der Grünen Fraktion im LVR und Vorsitzender der Forensik-Kommission. Auch er stellt eine reale Verbesserung der Sicherheitsbedingungen fest. Diese führt Noecker hauptsächlich auf die intensive Beschäftigung der Klinikbetreiber mit dem Thema zurück. Es gibt regelmäßige landes- und europaweite Sicherheitskonferenzen. Schwachstellen werden so erkannt und entfernt.
Den letzten spektakulären Ausbruch hat es im Jahr 1998 gegeben. Auf der Flucht aus der psychiatrischen Landesklinik Düren ermordete ein Sexualstraftäter zwei Personen. Der Fall verunsicherte die Bevölkerung nachhaltig. Derartige Fälle blieben aber die absolute Ausnahme.
Meinolf Noecker warnt trotzdem vor allzu großer Zufriedenheit. „Langfristige Sicherheit ist nur durch eine Erhöhung der Kapazität zu erreichen.“ Momentan fehlen rund 700 Behandlungsplätze – die Kliniken sind überbelegt. In der rheinischen Landesklinik im niederrheinischen Bedburg-Hau wurden als Übergangslösung 100 forensische Plätze neu geschaffen – auf Kosten der allgemeinpsychiatrischen Plätze. „Eine umfassende Therapie ist unter diesen Voraussetzungen kaum möglich“, klagt Noecker.
Angesichts des dramatischen Kapazitätsnotstands plant das Land den Bau von sechs neuen forensischen Kliniken. In Dortmund, Herne, Essen, Duisburg, Köln und Münster sollen 450 Plätze entstehen. „Damit ist Nordrhein-Westfalen in der Lage, den zwischenzeitlichen Zuwachs an Patienten zu kompensieren“, sagt Meinolf Noecker, „langfristig müssen aber weitere Standorte her.“ Das Land müsse wegen der enormen Vorlaufzeit schon jetzt mit den Planungen beginnen: „Nur durch den Neubau schaffen wir mehr Sicherheit.“
HOLGER PAULER