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Archiv-Artikel

Das Schweigen durchdringen

Geschichte und Sexualität, Prostitution und Pornografie: Rommelo Yus Zeichnungen „Creatures of Comfort“ in der Galerie Laura Mars

Man weiß nicht, was man sieht. Die tellerrunden Zeichnungen von Rommelo Yu in den kleinen Zimmern von Laura Mars ziehen den Blick hinein in ein ornamentales Netz. Bewegungen wie von Wellen nimmt man zuerst wahr, fast organisch, eine verführerische Struktur. Dann entdeckt man vielleicht geringelte Locken, Augen, ein Ohr, eine Brust? Ganz allmählich setzen sich die fließenden Formen zusammen, Gesichter entstehen, Körper, Monster mit Krallen erscheinen, angeschnittene Körperteile und schließlich Zoombilder aus intimen Zonen.

Erst da rückt mit einem kleinen Schreck ins Bewusstsein, dass man die ganze Zeit so fasziniert auf pornografische Bilder gestarrt hat. Wie im japanischen Manga sind die Figuren verniedlicht. Statt Männerschwänzen züngeln jede Menge fremder Eindringlinge mit Tentakeln durch die Bilder. Zum Fantastischen und Erotischen aber kommt ein drittes Element: die Gewalt. Das Ausschnitthafte selbst ist ein Mittel der Zurichtung der Körper.

Das aber ist nur die erste Ebene der „Creatures of Comfort“, wie der junge philippinische Künstler Rommelo Yu seine Arbeit betitelt. Man muss die Figuren aufgeben und nahe an die Zeichnungen treten, um zu erkennen, dass ihre Flächen aus Textzeilen in winzig kleinen Buchstaben gebildet sind. Es ist kaum vorstellbar, wie man so zierlich schreiben kann. Die Sprache nimmt in diesen Pünktchen den Ton eines leisen Flüsterns an, fast ein zärtliches Murmeln, ziemlich nahe an der Auflösung.

Das aber, die Bewegung durch ein Fast-Verstummen hindurch, ahmt genau nach, was das Schicksal dieser Texte war. Sie alle sind gefundenes Material. In allen bezeugen Frauen die Geschichte erfahrener Gewalt, des Krieges, der Verschleppung, des sexuellen Missbrauchs und der Gleichgültigkeit danach. Als Rommelo Yu sie las, war er noch Student eines Kurses für Creative Writing an der Brown University, Rhode Island und erst knapp über zwanzig. Die Frauen, die erzählen, stammen aus Korea, China und den Philippinen – und sie sind alt, als sie endlich über das Trauma ihrer Jugend reden. Zwischen 1932 und 1945 wurden sie von der kaiserlichen Armee Japans entführt und zur Prostitution gezwungen. Hörbar wurden ihre Geschichten aber erst fünfzig Jahre nach dem Geschehen.

„Bis jetzt hatte ich Tausende von Soldaten bedient. Manchmal sah ich mich selbst in dem kleinen Spiegel in meinem Zimmer an und bemerkte, dass das, was ich durchgemacht hatte, in meinem Gesicht keine Spuren hinterlassen hatte. Ich sah jung und schön aus“, ist eine der Geschichten des Rückblicks, und nicht zufällig erinnert das Format der Zeichnungen an kleine Spiegel. Über vierhundert Seiten dieser Texte hat Rommelo Yu gefunden, viele im Internet. Berührt von der Unterschiedlichkeit der Stimmen, der Nüchternheit mancher Berichte, während andere gar eine euphemistische Sprache der Verharmlosung angenommen haben, suchte er nach Formen der Thematisierung. Ideen gab es viele: eine war, die Frauen in die Monster zu verwandeln, die heute die japanischen Comics beherrschen. Eine andere der Plan eines Denkmals, das gegen die Geschichte des Verschweigens und die Haltung, das Verbrechen zu entschuldigen, protestiert. Noch heute, regt sich Rommelo Yu auf, redet sich Japan aus der Verantwortung für diesen Gewaltakt heraus. Verquer und verschoben wird für ihn in den Mangas tatsächlich etwas sichtbar, das an anderer Stelle immer nur verdrängt und verborgen wird.

Rommelo Yu legt sich die Hand aufs Herz. „Nie konnte ich an diesen Texten schreiben“, sagt er, „ohne an mein eigenes Leben zu denken.“ Es mischt sich immer wieder in die Rede über seine Zeichnungen. Geboren in Manila und als Kind mit seiner Mutter in die USA ausgewandert, wuchs er in Kinderheimen auf, in zehn verschiedenen Städten, gepeinigt von einem Blick, der ihn als Fremden stigmatisiert hat. Gewalt scheint ihm eine alltägliche Erfahrung, vertraut seit damals.

Und gerade deshalb will er nicht einfach die Gewöhnung daran zulassen und sucht in den Ästhetiken der populären Bildsprachen nach den Punkten, an denen das Grausame transformiert und eingemeindet wird. Seine Arbeitsweise kehrt diesen Prozess um und verwandelt die Dinge zurück in das, was sie möglicherweise einmal waren.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Rommelo Yu, „Creatures of Comfort“, Laura Mars GRP., Sorauer Str. 3, 10997 Berlin, Di–Fr 12–19 Uhr, bis 15. August