: Ein Netz für gleiche Chancen
Der Türkische Bund gründet ein neues Antidiskriminierungsnetzwerk. Es soll die Aktivitäten einzelner Initiativen bündeln, sie besser mit der Politik verzahnen – und die Bundesregierung auf Trab bringen
von SUSANNE LANG
Wie viele Fäden am Ende verknüpft sein werden, kann Florencio Chicote noch nicht sagen. Vorläufig reichte es dem Projektkoordinator in der Werkstatt der Kulturen gestern, den ersten Knoten des neuen „Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin (ADNB)“ vorzustellen. Nach gut einem Jahr Vorbereitungsphase hat der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) nun offiziell sein Antidiskriminierungsprojekt gestartet.
Das Netzwerk verfolgt vor allem ein Ziel: die Aktivitäten zahlreicher Einzelinitiativen zu vernetzen und eine Zusammenarbeit anzuregen. „Wir brauchen ein starkes Bündnis für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung“, sagt Chicote.
Nach der Konzeptionsphase arbeitet das ADNB bereits mit dem Deutsch-Arabischen Frauenverein, dem Vietnam-Haus, der Deutsch-Serbischen Gesellschaft, mit Eine Welt der Vielfalt, der Griechisch Demokratischen Gemeinde, dem Antirassistischen Informationszentrum sowie der Vereinigung der Türken aus Thrakien zusammen. Das bei der Sozialverwaltung angesiedelte Amt für Migration und Integration hatte das Projekt letztes Jahr ausgeschrieben. Wegen der Haushaltssperre 2002 fließen Fördergelder jedoch erst jetzt.
Günter Piening, Beauftragter für Migration und Integration und Leiter des Amtes, verspricht sich einiges. Die Bedeutung liege vor allem darin, „durch Abbau von Diskriminierung Chancengleichheit zu schaffen“. Außerdem solle es Nichtregierungsorganisationen und Politik enger miteinander verzahnen. Von der Gründung des Netzwerks erhofft sich Piening auch politische Signalwirkung: „Wir brauchen auch auf Länderebene verstärkt Gleichberechtigungsstellen.“
Der TBB kritisiert vor allem, dass nach mehr als vier Jahrzehnten Migrationsgeschichte die nichtdeutsche Bevölkerung nicht als Teil dieser Gesellschaft begriffen werde. Nach Ansicht von Eren Ünsal, Sprecherin des TBB, ist das der Nährboden für Diskriminierung.
Das angestrebte Bündnis will nicht nur existente Aktivitäten bündeln und vernetzen. Langfristiges Ziel ist es auch, der Berliner Antidiskriminierungspolitik inhaltlich ein neues Profil zu verleihen. Seit sechs Wochen läuft die erste Phase, in der die Initiatoren hauptsächlich bestehende Beratungsangebote erweitern wollen. Der Schwerpunkt lag oft auf der institutionellen und alltäglichen Diskriminierung von Minderheiten anderer Herkunft oder Ethnien. Künftig sollen auch Benachteiligungen aufgrund von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung oder Behinderung verstärkt thematisiert werden. Wenn man für Gleichbehandlung eintreten wolle, so Projektkoordinator Chicote, müsse man einen ganzheitlichen Ansatz wählen. Das Angebot räumt mit der Vorstellung auf, dass Minderheiten generell die Opferrolle einnehmen. „Menschen, die diskriminiert werden, können auch diskriminieren“, lautet eine Erkenntnis. Chicote fügt hinzu: „Wir wollen in die Communities hineinwirken und dort intervenieren.“
Das Netzwerk versucht, aus den Communities heraus in die Öffentlichkeit zu wirken. „Wir wollen sowohl Mehrheits- als auch Minderheitsgesellschaften für die Problematik sensibilisieren“, sagt Projektmitarbeiterin Nuran Yigit. Bewusstein schaffen und die Handlungsbereitschaft verstärken – so lauten zwei Kernaspekte. Die Maßnahmen sind vielfältig, auch wenn sie in der frühen Phase noch nicht in Gänze fest stehen: Die Netzwerker planen sowohl Werbespots im Berliner Fenster der BVG als auch Trainings- oder Workshopangeboten – „Wie wehre ich mich gegen Mobbing in der Schule?“ könnte etwa ein Thema sein.
Der TBB hat noch Größeres im Sinn: Je mehr Aufmerksamkeit das ADNB in der Öffentlichkeit findet, desto eher schenkt auch die Bundesregierung Forderungen Gehör, so das Kalkül – ein bundesweites Antidiskriminierungsgesetz wäre nur eine davon. Der TBB kritisiert zum Beispiel, dass drei Richtlinien zur Gleichbehandlung immer noch nicht umgesetzt sind. Der EU-Ministerrat hatte diese mit Zustimmung der Bundesregierung verabschiedet. Die Frist zum Vollzug endet am 19. Juli.