: Reisen mit gutem Gewissen
Nachhaltige Tourismusangebote kommen immer mehr in Trend. Reisende können aktiv an sozialen und ökologischen Projekten mitwirken oder den Einsatz ihrer Spenden vor Ort besichtigen. Ein neues Verfahren soll nun derartige Reiseangebote überprüfen, vielleicht sogar transparent machen
An Bord sind neben dem Fährmann sechs Personen und Rolf Blädel – der Seehund-Jäger. Langsam nährt sich der zweimotorige Katamaran Witte Kliff der kleinen unbewohnten Insel. Die Sonne hängt schwer überm Horizont. Es ist Spätsommer. Zu dieser Jahreszeit zeigen sich hier die Seehunde mit ihrem Nachwuchs. Auch die Kegelrobben sind trächtig. Rolf Blädel blinzelt aufmerksam Richtung Nordstrand. Dort liegen die Tiere in kleinen Kolonien beieinander.
Seit fast 30 Jahren macht er diese Arbeit jetzt schon. Aber die Reisegruppe, die ihn heute begleitet, unterscheidet sich von all den Gruppen, die er über die Jahre zu den Heulern geführt hat. Jeder der Anwesenden übernimmt mit einem Spendeneinsatz von 100 Euro die Patenschaft für eine der Robben. Die Reisenden verknüpfen ihren Urlaub mit einem Engagement für das besuchte Stück Natur. Der Seehund-Jäger, dessen Aufgabe es nicht ist, die Tiere zu töten, sondern sie zu behüten, weiß das zu schätzen. Schließlich sind Touristen andernorts die Hauptfeinde fragiler Umweltsysteme.
Ökologisch und sozial nachhaltige Tourismusangebote haben in den letzten Jahren einen rapiden Aufschwung erlebt. Dabei versucht man nicht nur über Spenden, das Reisen nachhaltig zu gestalten. 1998 schlossen sich in Hannover zehn alternative Reiseveranstalter zu dem Verband Forum Anders Reisen (far) zusammen. Die Mitglieder verpflichteten sich dazu, bestimmte Kriterien einzuhalten, um einen ökologisch und sozial verträglicheren Tourismus anbieten zu können. Heute hat der Verband bereits über 150 Mitglieder. Im Kriterienkatalog finden sich unter anderem Bedingungen wie, dass nur Strecken über 2000 Kilometer mit dem Flugzeug zurück gelegt werden dürfen, dass eine Mindestaufenthaltsdauer festgelegt ist und auf bestimmte Urlaubsaktivitäten wie Offroad-Touren oder Rundflüge verzichtet werden muss.
Freiwilliges Engagement
Andere Anbieter setzen auf aktive Beteiligung der Urlauber an Hilfsprojekten. So können bei dem Hamburger Reiseveranstalter Explore & Help Reisen gebucht werden, bei denen die Reisenden in Südafrika helfen, Wildtiere umzusiedeln, oder in Botswana den Tierbestand eines Nationalparks zu kategorisieren. Tim Hanke aus Husum half Meeresbiologen drei Wochen auf hoher See dabei, das Verhalten von weißen Haien zu studieren. „Ich hätte nie gedacht, dass wir erst so wenig über diese fazinierenden Tiere wissen“, berichtet der gelernte Schreiner. Nach einer Einführung in den Umgang mit den wissenschaftlichen Geräten und einem Sicherheitstraining sammelte er bei Tauchgängen Daten über Jagdverhalten, Fortpflanzung und Wanderschaft der Haie. Nach jeder Woche wurden die gesammelten Daten im Team ausgewertet und diskutiert.
Reisende als Aufbauhilfe
Bei einigen Projekten verschwimmen die Grenzen zwischen Tourismus und Entwicklungshilfe sogar: Die Beluga School for Life etwa betreut Tsunami-Opfer in Thailand. In Not geratenen Kindern werden eine Unterkunft, ein Kindergarten, eine Schule und Freizeitaktivitäten geboten. Ausländische Besucher sind fester Bestandteil des Konzeptes. In einer Region, die maßgeblich vom Tourismus lebt, ist der natürliche Kontakt zu Ausländern eine wichtige Voraussetzung zum Bestehen in der Gesellschaft. „Die Kinder können das Englisch, das sie in der Schule lernen, jederzeit ausprobieren und so lernen, es im Alltag einzusetzen“, sagt eine Sprecherin.
Kritik an Anbietern
In die Kritik geraten sind hingegen ähnliche Angebote großer Reiseveranstalter wie der TUI-Tochter Gebeco oder der Marco Polo-Produktlinie Young Line Travel. Ökologisches oder soziales Engagement wird hier als Urlaubsaktivität in gewöhnliche Pauschalreisen integriert. Der Vorwurf lautet, die betreffenden Projekte seien eher schädlich als nützlich (Interview unten). Die Veranstalter bieten beispielsweise Reisen zu Dorfschulen in Entwicklungsländern an. Touristen bekommen die Möglichkeit, Unterrichtseinheiten selbstständig zu leiten. Die pädagogische und wissenschaftliche Qualifikation der Urlauber wird jedoch nicht vorher überprüft.
Ebenso kontraproduktiv wirken Reisen, bei denen Urlauber unreflektiert weniger anspruchsvolle Arbeiten erledigen. Das Anstreichen eines Klassenzimmers der lokalen Schule kann den örtlichen Maler einen Auftrag kosten. Die Erfahrungen aus der Entwicklungshilfe zeigen, dass es oft effektiver ist, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, als selber anzupacken. „Aufbauhilfe ist ein sehr komplexes Unterfangen, bei dem die verschiedenen Maßnahmen gut koordiniert werden müssen“, meint Stephan Bethe vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Neues Prüfverfahren
Aber auch gegen den Verband Forum Anders Reisen wurde zuletzt Kritik laut. Wolfgang Strasdas, Professor für nachhaltigen Tourismus an der Fachhochschule Eberswalde, moniert: „Die Kontrollmechanismen des Verbands sind noch nicht genügend ausgereift. Die Mitglieder haben lediglich eine Absichtserklärung unterzeichnet.“
Der Verband hat jetzt auf diese Kritik reagiert und lässt seine Mitglieder seit kurzem mit einem neuen Zertifizierungsverfahren prüfen. Jedes Mitglied wird aufgefordert, bestimmte Daten zu seinem Reiseangebot anzugeben. Die Daten werden mittels einer speziellen Software zu einem Corporate Social Responsibility-Bericht verarbeitet. Der Bericht gibt Auskunft über die soziale und ökologische Bilanz des Unternehmens. Zehn Indikatoren zeigen die wichtigsten Werte an, wie etwa den CO2-Ausstoß pro Reisegast oder den finanziellen Gewinn, den die Bevölkerung vor Ort pro Reisegast erwirtschaften konnte. Anschließend werden die Daten von einem unabhängigen Kontrollgremium geprüft.
Ob die Ergebnisse veröffentlicht werden, steht noch nicht fest. Sollte sich der Verband zu diesem Schritt entscheiden, könnten Urlauber ihre Reiseanbieter erstmals gezielt nach den Kriterien sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit wählen.
Johann Tischewski
www.forumandersreisen.de www.exploreandhelp.de www.beluga-schoolforlife.de